Andacht Dezember 2015

Nahum und Gott                                  Augustin am Meer; Kierkegaard: Gebet als Schweigen

Wie würden Sie jemanden beschreiben? Irgendeinen Menschen, den Sie kennen? Eine Methode, jemanden zu beschreiben: Eigenschaftswörter. Stellen Sie sich vor, Sie

machen eine Umfrage vor dem Standesamt: Die frisch getrauten Partner sollen ein paar Eigenschaftswörter über ihren Liebsten, ihre Liebste nennen. Ich vermute, die Summe dieser Wörter wäre überschaubar: Lieb, zärtlich, klug, attraktiv, wunderbar, treu, ehrlich, charmant und so

Dieselbe Fragestellung am Amtsgericht direkt nach der Scheidung würde andere Eigenschaftswörter zu Tage fördern, wohl ebenfalls eine begrenzte Anzahl von Begriffen. Einige davon aus dem Tierreich.

Ich finde: Eine viel bessere, treffendere Weise zu sagen, wie jemand ist, das sind GESCHICHTEN. Wenn Sie ins Erzählen kommen, können Sie ein ziemlich facettenreiches Bild von dem anderen entwerfen. Damit ist zwar nicht gesagt, wie der andere „wirklich“ ist, aber Sie haben gut beschrieben, wie Sie den anderen erlebt haben und heute sehen. Damit erzählen Sie zugleich, wie der andere FÜR SIE ist, und nicht allgemein und an und für sich und „objektiv“. Ich halte das für eine große Stärke vom Erzählen und von Geschichten.

Und wie ist GOTT?: Das mit dem Geschichten-Erzählen über Gott hat das Volk Israel reichlich getan, nachzulesen in der Bibel. Ich sage es mal so: Wer nichts kennt von der biblischen Geschichte Israels mit Gott, kann nicht an den Gott Israels glauben. Wer nichts weiß von den Geschichten um Jesus von Nazareth, kann nicht christlich glauben. Wenn Sie keine Geschichte über einen Freund erzählen können, dann handelt es sich eigentlich um einen Fremden, was immer Sie sich auch einreden.

Trotzdem nun keine Geschichten, sondern doch wieder Eigenschaften. Ich bin darauf gestoßen beim Propheten Nahum. – Nahum? Wer soll das sein? Falls Sie vor Jahren die Bücher der Bibel auswendig lernen mussten, ist Ihnen der Name mal untergekommen: Einer der „kleinen“ Propheten.

Wie, mehr wissen Sie nicht? Vielleicht tröstet es Sie ja, dass ich da auch nachlesen musste. Man weiß sowieso fast nichts über ihn. Außer: Er kommt aus einem Ort namens Eschkol. Und: Seine Prophe­zeiungen richten sich gegen Ninive, die Hauptstadt des Assyrer-Reiches. Und weil Ninive im Jahre 612 vor Christus untergegangen ist, muss Nahum irgendwann zuvor gewirkt haben.

Das ist nun schon eine Weile her. Gibt es mehr als 2627 Jahre danach Gründe, sich mit der Botschaft dieses Unheils-Propheten zu beschäftigen?

Aber das mit dem „Unheilspropheten“ stimmt schon mal nicht ganz. Das hängt nämlich davon ab, wen Sie fragen. Ich habe mal eine Dokumentation über das Bomben-Inferno von Dresden 1945 gesehen, mit vielen Zeitzeugen. Ein großes Unheil! Aber einer der Zeitzeugen war Jude. Und der konnte in dem Chaos des Bombenterrors erfolgreich untertauchen. Seine Rettung, sein Heil.

So ähnlich ist das wohl mit Ninive: Das Unheil für die Weltstadt bedeutet zugleich Heil und Erlösung für alle, die vom Reich der Assyrer bedroht oder unterdrückt werden. Unheil und Heil liegen manchmal dicht beieinander. Je nach dem, aus wessen Sicht Sie es betrachten.

Mit den „Eigenschaften“ Gottes verhält es sich ganz ähnlich. Gleich zu Anfang des kurzen Nahum-Buches beschreibt der Prophet, wie Gott sozusagen die Bühne betritt:

Ein eifernder und rächender Gott ist der Herr. Der Herr übt Rache und ist voll Zorn. Der Herr übt Rache an seinen Gegnern und hält fest am Zorn gegen seine Feinde. (Nahum 1, 2
Aber dann geht es bruchlos so weiter:

Der Herr ist langmütig und von großer Macht (…)

Ein paar Verse später:

Vor seinem Groll – wer kann da bestehen? Wer hält stand in der Glut seines Zorns? Sein Grimm greift um sich wie Feuer und die Felsen bersten vor ihm.
Und wieder direkt dahinter:

Gut ist der Herr, eine feste Burg am Tag der Not. Er kennt alle, die Schutz suchen bei ihm.

War das eine Lücke, dass Sie Nahum bisher nicht kannten? Hat Ihnen was gefehlt? Eventuell ja! Dann nämlich, wenn Sie bisher allzu klar hatten, wer Gott ist und wie er ist. Wenn Sie allzu flott anderen darüber Auskunft geben konnten. Dann können Sie bei Nahum lernen: So einfach ist Gott nicht in Begriffe zu packen, und fertig.

Der Begriff, den ich mir von Gott mache, ist eben NICHT vollständig. Vielleicht irgendwo „richtig“, aber nicht vollständig. Je nach dem, ob ich gerade „Assyrer“ oder „Israelit“ bin. Eigentlich sagen meine Begriffe mehr etwas über MEINE BEZIEHUNG zu Gott aus als über Gott selbst. Das ist so wie mit der Umfrage vor dem Standesamt oder am Amtsgericht: Die Begriffe, die ich da einfange, sagen ebenfalls mehr über die Beziehung aus als über den Anderen „an sich“.

Also Vorsicht! Vorsicht damit, Gott abschließend auf bestimmte Begriffe festzulegen! Das können Sie, soweit sie Christin oder Christ sind, übrigens bei „den anderen“ lernen:

  • Die Juden sprechen den Gottesnamen יְהוָה nicht aus. Ich auch nicht mehr. Das hat etwas mit dem Gebot gegen den Missbrauch des Gottesnamens zu tun. Wer den Namen gar nicht erst ausspricht, kann weniger falsch machen. Kein sicherer Schutz dagegen, mir Gott nach meinen Vorstellungen zurechtzustutzen, aber immerhin eine Haltung. Eine, wo Ehrfurcht und Respekt eine größere Chance haben. Ganz ähnlich ist es mit dem Bilderverbot in den Zehn Geboten. Ein Bild legt Gott fest. Aber Gott sprengt jeden Rahmen. Gott ist größer und anders als jedes meiner Bilder. – Und schwupps, habe ich Ihnen schon wieder zwei Eigenschaftswörter untergejubelt: „größer“, „anders“.
  • Die Moslems kennen 99 Namen Gottes. (Wenn Sie sie auch kennenlernen wollen: https://de.wikipedia.org/wiki/99_Namen_Allahs ) Den hundertsten Namen kennen sie nicht. Und das bedeutet doch wohl: Mit all meinen Wörtern ist nie „alles“ über Gott gesagt. Vielleicht noch nicht mal das Entscheidende.

Aber wieso ist das wichtig? Für Ihren Glauben? Ich habe vier Antworten:

  1. Es sensibilisiert Sie dafür, wie Sie im Gebet ZU Gott sprechen und wie sie vielleicht anderen gegenüber VON Gott sprechen. Ihre Worte offenbaren, wie Sie Ihre Beziehung zu Gott verstehen.
  2. Sie können es als bereichernd entdecken, wie ANDERE zu Gott sprechen und von Gott sprechen. Sie könnten dabei ganz neue Seiten der Beziehung zu Gott entdecken. Kurz gesagt: Lassen Sie sich ein auf die Bibel, gute Glaubens-Bücher, Gottesdienste, Gespräche um Gott und den Glauben!
  3. Das Wissen um die Grenzen der eigenen Wörter kann helfen, Gott in Ehrfurcht vor seiner Größe und Heiligkeit zu begegnen, und gerade nicht als „Kumpel“ oder so.
  4. Es kann Sie respektvoll und auch liebevoll machen gegenüber Leuten, die ganz anders glauben und auch anders von Gott sprechen. Es kann ja wirklich sein, dass Sie das eine oder andere „besser wissen“. Aber es kann auch sein, dass der Andere etwas „besser weiß“ als Sie und Ihnen Bedeutendes, „Neues“ zu sagen hat. Glaubens-Gespräche wären dann mehr vom Hören als vom Reden geprägt. Und es kämen nicht nur gute Antworten, sondern auch vermehrt gute Fragen vor.

Und nun sind Sie womöglich ganz verunsichert. Dürfen Sie überhaupt noch ein Wort zu Gott oder von Gott sprechen? Na klar! Denn „wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“ (Lukas 6, 45). Und wenn Sie dabei im Sinn behalten, dass mit Ihren Worten als Kind Gottes, und zwar als kleines Kind Gottes, noch nicht alles gesagt ist, dann wäre das klasse.

Gebet (aus dem Lied: „Meinem Gott gehört die Welt“)

Lieber Gott, Du bist so groß, und ich lieg in Deinem Schoß wie im Mutterschoß ein Kind. Liebe deckt und birgt mich lind.

Leb ich, Gott, bist Du bei mir, sterb ich, bleib ich auch bei Dir, und im Leben und im Tod / bin ich Dein, du lieb