Vorbild 1. Könige 3
Und? Haben Sie eines? Ein Vorbild? Jetzt nicht eine alte Buche oder Ihr Bernhardiner, sondern ein richtiger Mensch? Wer kommt Ihnen da in den Sinn? Überlegen Sie mal zwei Momente! (…) Na, haben Sie wen gefunden?
Falls ja: Jemand aus Ihrem persönlichen Umfeld? Oder aus dem Fernsehen, aus Büchern, Filmen, Erzählungen? Jemand von heute oder von früher? Und: Was finden Sie so bewundernswert, erstrebenswert, eben: vorbildhaft an diesem Jemand?
Falls Sie kein Vorbild gefunden haben: Kein Wunder! Von wem kann man schon rundherum sagen: „So möchte ich auch sein!“? Eine spezielle Seite von dem, wie ein anderer ist, was der kann, was der hat – ok. Aber das komplette Paket? Da gibt es meistens Haken. Die Intelligenz von Einstein und die Figur von Schwarzenegger – ok. Aber bitte nicht umgekehrt!
Und wo Sie es gerade mit einer Andacht zu tun haben: Ist Jesus Ihr Vorbild? Auch da muss das Komplettpaket nicht unbedingt passen. Oder streben Sie das an: obdachlos, Single, Prediger, Wunderheiler, Krach mit der Mutter und den Geschwistern?
Und nun umgekehrt: SIND Sie ein Vorbild? Oder empfehlen Sie sich als Vorbild?
- Vielleicht finden Sie sich als Vorbild ungeeignet. Vielleicht halten Sie nicht viel von sich, trauen sich wenig zu, denken, Sie machen alles verkehrt. Schade. Mit so einer pauschalen Selbst-Verurteilung liegen Sie wohl nicht richtig. Ihr überkritischer Blick halt …
- Oder Sie sagen: „Ja, ich habe bestimmte Fähigkeiten, Meinungen, Haltungen, da können sich andere mal was von abgucken!“
- Oder Sie sind total von sich überzeugt: Wenn alle so wären wie Sie, so dächten, so fühlten, so handelten, dann wäre die Welt in Ordnung! – Ob Sie dann vielleicht ein Rechthaber und Besserwisser sind? Es hätte was von Arroganz. Ihr allzu un-kritischer Blick halt …
Aber selbst wer sehr überzeugt von sich ist, wird sich kaum trauen, das ganz unverblümt herauszuposaunen. Das käme nicht gut an, oder?
So, und nun hören Sie den Apostel Paulus, Philpper 3:
Ahmt auch ihr mich nach, Geschwister, und achtet auf jene, die nach dem Vorbild leben, das ihr an uns habt!
Paulus – ein Häftling. Wahrscheinlich in Ephesus in der heutigen Türkei. Dort schreibt er Briefe an die Philipper im heutigen Griechenland. Philippi ist nur ein paar Tage weit weg. Dort hatten Paulus und Silas die Gemeinde gegründet: Die Purpurhändlerin Lydia war die Erste, es folgten ausgerechnet der Gefängnisdirektor und dessen Hausgemeinschaft. Nun im Gefängnis in Ephesus bekommt Paulus aus Philippi Besuch und Sachspenden. Und man tauscht Briefe aus.
In einem davon schreibt Paulus nun das: „Ahmt mich nach!“ Und er schreibt vom „Vorbild, das ihr an uns habt“. Gefangene gelten selten als Vorbild. Wie kommt der Mann dazu, sich so anzupreisen?
Erste Antwort: Weil er vor anderen warnt, die sich ebenfalls als Vorbilder anbieten:
Denn viele – von denen ich oft zu euch gesprochen habe, doch jetzt unter Tränen spreche – leben als Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist das Verderben, ihr Gott der Bauch; ihr Ruhm besteht in ihrer Schande. Irdisches haben sie im Sinn.
Wen hat Paulus da vor Augen? Das schreibt er weiter vorn im Brief: Es sind Leute, die sich darin überbieten, penibel das Gesetz des Mose zu befolgen. Paulus sagt: „So war ich auch mal! Eigentlich war ich in Sachen ‚Gesetzestreue‘ unübertroffen, tadellos, perfekt!“
Na, wenn er wirklich so perfekt war, dann kann er sich doch mit Recht als Vorbild anpreisen, oder? – Nein, genau das gerade nicht! Denn Paulus ist Christ geworden. Und das bedeutet für ihn: „Ich bin mit Christus gestorben, ich bekomme Anteil an seiner Auferstehung! Durch Christus und nur durch Christus bin ich erlöst!“
Und der fromme Perfektionismus, den Paulus früher an den Tag legte und den er nun bei seinen Gegnern sieht? „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet (…) und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne!“
Sich selbst durch Perfektionismus erlösen wollen, sich vor Gott, vor anderen, vor sich selbst durch Tadellosigkeit in ein günstiges Licht setzen? Paulus meint: Wer das will, der kann doch nicht zugleich an die Erlösung durch Christus glauben! Deswegen sind seine Gegner für ihn „Feinde des Kreuzes Christi“. Aber weswegen ist „ihr Gott ihr Bauch“? Wohl nicht wegen der Fresserei, sondern eher im Gegenteil: Weil sie auch alle Speisegebote penibel einhalten.
Zweite Antwort: Paulus empfiehlt sich als Vorbild darin, dass er selbst ein Vorbild hat, nämlich: Jesus Christus! – Mhm, da hat Paulus die Messlatte für sich aber sehr hoch gehängt, oder? Jesus – voller Liebe und Güte, Weisheit, Heilkraft, Mut, Sündlosigkeit? – Nein, das alles meint Paulus nicht! Sonst wäre er nämlich doch wieder bei seinem Perfektionismus von früher gelandet. Sondern:
Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden! Sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. (Philipper 3, 10 f.)
Auf Christus sehen, ihn erkennen, mit ihm verbunden sein, sich von ihm prägen lassen – und zwar nicht die guten Charakter-Eigenschaften und das vorbildhafte Auftreten, sondern: Christi Leiden, sein Tod, seine Auferstehung! Das ist für Paulus viel mehr als ein Vorbild im Sinne von: „Den finde ich toll, und so möchte ich auch sein!“ Nein, in dieser innigen Christus-Gemeinschaft fallen die Grenzen von „Ich“ und „Du“. Anderswo schreibt es Paulus so: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20a).
Zu dieser Christus-Verbundenheit lädt Paulus die Christen in Philippi ein, wenn er sich als Vorbild hinstellt. – „Macht es so wie ich! Verbindet Euch mit Christus – mit seinem Leid, mit seinem Tod. Und dann auch: Mit seiner Auferstehung!“
Ein Vor-Bild ist ein Bild, das man vor Augen hat, auf das man den Blick richtet. Wohin geht der Blick, wenn Christus das Vorbild ist – und mehr als ein Vorbild?
Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann.
Christus als Vor-Bild: Klar, da geht der Blick erstmal – zurück: Karfreitag, Ostern. Aber der Blick geht auch zum Himmel: Christus, der Erhöhte. Christus, der Kommende. Christus, meine Zu-Kunft, meine wahre Heimat!
Christen sind nicht ganz von dieser Welt. Sie haben eine andere Heimat, auch wenn sie noch nie persönlich richtig da gewesen sind. Wie bei Leuten, die einen deutschen Pass haben, auch wenn sie noch nie in Deutschland gewesen sind. Die wissen: Da gehöre ich zu, da kann ich hin, da finde ich Aufnahme. Einfach so, ohne Asylverfahren und Angst vor Abschiebung.
Zurück zu meiner Frage am Anfang: Wer ist Ihr Vorbild? Wenn Sie ein Vorbild haben, können Sie daran ablesen: Was finde ich gut, wichtig, erstrebenswert? Wie möchte ich sein? Was wäre für mich ein „gelingendes“ Leben? Was sind für mich wichtige Werte?
Und auch wenn Sie kein Vorbild mit Vor- und Nachnamen haben, also keinen konkreten Menschen: Sie werden statt eines Vor-Bildes wenigstens so etwas wie ein „Leit“-Bild in Ihrem Kopf haben, auch wenn Sie die nie formuliert haben: Ihre Vorstellungen von dem, was Sie für gut, wichtig, erstrebenswert halten. Wie Sie sein möchten.
Nehmen Sie das, was Paulus den Philippern schreibt, als Einladung: sich Christus als Vor-Bild zu nehmen. Sich seinen Leidensweg, sein Kreuz, seine Auferweckung vor Augen zu führen. Den Blick zum Himmel zu erheben, Ihrer wahren Heimat.
Als Paulus Christ wurde, als er anfing, sich in dieses Vor-Bild Christus hineinzuleben, da sind ihm seine alten perfektionistischen Vor- und Leitbilder zerbrochen. Für ihn eine riesige Befreiung, ein tiefes Aufatmen. Mit dem Blick auf Christus kann Ihnen und mir das auch passieren. Halleluja!
Gebet:
Christus, dazu hilf mir: Dass Du mir vor Augen bleibst auf meinem Weg! Amen.