Andacht Juli 2015

Unverschämtheit!                                                                            Daniel 9

Jesus erzählt eine Geschichte:

In einer Stadt lebte ein Richter, der fragte nicht nach Gott und nahm auf keinen Menschen Rücksicht. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe. Sie kam immer wieder zu dem Richter und bat ihn: ›Verhilf mir in der Auseinandersetzung mit meinem Gegner zu meinem Recht!‹ Lange Zeit wollte der Richter nicht darauf eingehen, doch dann sagte er sich: ›Ich fürchte Gott zwar nicht, und was die Menschen denken, ist mir gleichgültig. Aber diese Witwe wird mir so lästig, dass ich ihr zu ihrem Recht verhelfen will. Sonst bringt sie mich mit ihrem ständigen Kommen noch zur Verzweiflung. (Lukas 18, 2 ff.)

Der Volksmund sagt dazu. „Bescheidenheit ist eine Zier – doch weiter kommt man ohne ihr!“ Und: „Frechheit siegt!“ Unbescheiden und frech sind beide, der Richter und die Witwe:

Der RICHTER lebt nach der Devise: Möglichst bequem! Das Recht, das doch eigentlich sein Job ist, interessiert ihn nicht. Er sieht sich weder in der Verantwortung vor den Leuten noch vor Gott. Er löst das für sich so, wie Sie es vielleicht mit Behördenpost, Rechnungen, der Steuererklärung und dem Lernen für die Prüfung machen: Er lässt es liegen und liegen und liegen. Denn es ist lästig. Und manches löst sich von selbst. Und die Witwe? Was interessiert ihn die denn schon?

Die WITWE: Immer wieder steht sie bei dem Richter auf der Matte, fordert ihr Recht ein. Sie drängt, sie nervt. Sie gibt nicht auf.

Jetzt hat der bequeme, gleichgültige Richter ein Problem: Entweder lässt er sich vom Arbeiten nerven, oder die Witwe wird ihn weiter nerven. Also bequemt er sich dazu, das Nötige zu tun.

Bei Jesus kommt die Witwe mit ihrer Art richtig gut weg. Das passt so gar nicht in ein softes, liebliches, duldsames Jesus-Bild. Ich lese daraus: „Besteh’ auf Deinem Recht! Lass Dir nicht alles gefallen! Sag’ nicht zu allem Ja und Amen! Du musst nicht klein beigeben, nur weil „die da oben“ etwas so und so beschlossen haben!“

Ich lese daraus auch eine Aufforderung zum Engagement für andere. Auch da müssen Sie vielleicht Autoritäten auf die Füße treten: Ihnen sagen, was nötig ist. Briefe schreiben. Unterschriftenlisten ausfüllen. Online-Petitionen. Sich für diejenigen rühren, die das selbst nicht oder nicht ausreichend können.

Jesus selbst ist für diese Haltung ein vorzügliches Beispiel. Leisetreterei, Kniefälle vor Autoritäten, faule Kompromisse oder Gleichgültigkeit gegenüber Benachteiligten und Randgruppen kann man ihm nun wirklich nicht nachsagen. Wenn der Richter in Jesu Gleichnis nicht nach Gott fragt und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt, so ist Jesus selbst davon das genaue Gegenteil: Er fragt nach Gott und er sieht seine Mitmenschen. Und nicht nur die Spezis, Amigos und sonstige, die man für den eigenen Vorteil „braucht“. Sondern gerade die anderen.

Ich meine: Jesus ließ meist seine Geschichten für sich sprechen, ohne gleich eine Deutung mitzuliefern. Deswegen könnte ich jetzt sagen: „Nehmen Sie sich Jesus zum Vorbild! Amen!“

Aber die Deutung, die sich anschließt, bietet uns nach dem unverschämten Richter und der unverschämten Witwe auch noch einen unverschämten Jesus:

Habt ihr darauf geachtet, was dieser Richter sagt, dem es überhaupt nicht um Gerechtigkeit geht? Sollte da Gott nicht erst recht dafür sorgen, dass seine Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, zu ihrem Recht kommen? Und wird er sie etwa warten lassen? Ich sage euch: Er wird dafür sorgen, dass sie schnell zu ihrem Recht kommen!

Das ist doch wirklich eine Unverschämtheit, oder? Gott mit diesem miesen Richter in Verbindung zu bringen, dem alles schnuppe ist? Sonst lesen wir so etwas bei Jesus nicht. Jesus selbst betet „Abba“ – „Papa“. Jesus vergleicht diesen „Papa“ mit einem Vater, der mit Sehnsucht und Geduld auf seinen „verlorenen Sohn“ wartet. Oder mit Eltern, die ihren hungrigen Kindern Brot und Fisch geben, und eben nicht einen Stein oder eine Schlange. Und jetzt rückt Jesus Gott in die Nähe von einem, dem man Tag und Nacht auf die Nerven gehen muss? Für Gott als jemanden, der zuerst aus Liebe handelt, hätte sich Jesus einen andern Vergleich ausdenken können.

Ich bin deshalb gar nicht sicher, ob diese Auslegung in Richtung „Gebet“ wirklich O-Ton von Jesus ist. Ich bin erst recht nicht sicher bei der Aussage, dass Gott die eifrigen Beter nicht warten lässt und ihnen schnell zu ihrem Recht verhilft. Denn dieser eilends helfende Gott passt nicht zu der Geschichte: „Lange Zeit“ kümmert sich der Richter nicht, die Frau muss sehr geduldig und sehr penetrant dicke Bretter bohren, bevor er es sich überlegt und handeln will.

Wie ist das nun mit Gott? Hilft Gott dem Beter oder nicht? Und wenn er hilft: Eilends oder irgendwann in ferner Zukunft? Hilft er wie gewünscht oder ganz anders? Und: Hilft Gott denn auch bei Sachen, die er gar nicht will? Und wenn nein, wenn Gott nur hilft bei dem, was er selbst will, muss er dann überhaupt gebeten werden?

Fest steht: Anders als die Witwe, die schlussendlich ihren Willen bekommt, geht es im richtigen Leben nicht immer exakt nach der Mütze des Beters. Ich will gar nicht von Ihren oder meinen persönlichen Gebetsenttäuschungen sprechen. Auch nicht auf den Blick in die Horror-Abgründe der großen weiten Welt. Sondern ich nenne prominente biblische Beter, die das auch kennen:

  • HIOB, der zu Unrecht leidet, der mit Gott hadert und ringt und sich eine Art Schiedsrichter zwischen sich und Gott wünscht. Den Schiedsrichter bekommt er nicht. Dafür stellt Gott ihm dann viele Fragen, die ihn an die Grenzen seines Erkennens und Verstehens führen, so dass er schließlich wenigstens das erkennt: seine Grenzen.
  • PAULUS, der dreimal um die Befreiung von eine körperlichen oder seelischen Not bittet. Aber die Befreiung tritt nicht ein. Stattdessen die Antwort: „Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“
  • JESUS, der kurz vor seiner Gefangennahme – ebenfalls dreimal – darum bittet, den Leidenskelch nicht trinken zu müssen. Aber er muss.

Also: Wie hält es Gott mit den Bitt-Gebeten? Was ist die richtige Erwartungshaltung? Das richtige Vorgehen? Die richtige Form? Was mag sich Gott im Einzelnen dabei denken?

Auf all das bekommen Sie jetzt keine Antwort. Ich habe auch keine, jedenfalls keine gute. Hätte ich sie, ich bekäme zugleich dieses blöde Gefühl, es besser zu wissen als der liebe Gott, und das sollte sich niemand anmaßen.

Und: Hiob, Paulus, Jesus, sie haben nichts falsch gemacht. Im Gegenteil: Keine klugen Antworten, kein wohl überlegtes, ordentliches Gebet, sondern: Sie haben ihr Herz ausgebreitet. Sich selbst vor Gott gebracht mit dem, wie es gerade ist. Auch: Wie es mit ihnen und Gott gerade ist. Ehrlich, ungeschönt beten. Ohne Strategie. SO ist Gebet Beziehungspflege zu Gott. Vielleicht nicht Wunscherfüllung, aber Beziehungspflege. Am ehrlichen Gebet festzuhalten, das ist: an der Beziehung festzuhalten. Ich behaupte sogar: Gebetsabbruch ist Beziehungsabbruch. Jedenfalls von meiner Seite aus, nicht von Gottes Seite aus.

Und da bin ich wieder bei der Witwe. Ich glaube nicht, dass sie einer ausgefeilten Strategie gefolgt ist. Sie wollte oder konnte es nur einfach nicht aufgeben, dem Einzigen in den Ohren zu liegen, der ihr Recht verschaffen kann. Obwohl sie schnell begriffen haben musste: Der ist einfach faul und will nichts davon wissen.

Und Sie? Auch Ihnen könnte Gott manchmal so erscheinen wie der Richter: Der will nichts tun und will nichts davon wissen. Die Witwe bleibt trotzdem dran, gibt nicht auf, rückt ihm auf die Pelle. Und darin soll sie Ihnen nicht nur Vorbild in bürgerschaftlichem Engagement und Zivilcourage sein, sondern auch: im Gebet.

Gebet (aus Daniel 9):

Neige dein Ohr, mein Gott, und höre, tu Deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer (…). Denn wir liegen vor Dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit. Ach Herr, höre! Ach Herr, sei gnädig! Ach Herr, merk auf! Tu es und säume nicht – um Deinetwillen, mein Gott!