Andacht Mai 2015

Dünne Haut und dickes Fell                                     Genesis 3; Psalm 139

Sind Sie „dünnhäutig“? Die Hauptfigur unserer Bibel-Geschichte ist dünnhäutig geworden. Seine Krankheit hat ihn dazu gemacht. Oder war es umgekehrt? Hat seine Dünnhäutigkeit ihn krank gemacht? Oder IST die Dünnhäutigkeit seine Krankheit? „Aussatz“, sagen die Leute. Aussätzige sind „unberührbar“.

Die Haut ist die Kontaktfläche und Grenze von „Innen“ und „Außen“. Sie schützt mein Inneres. Aber sie nimmt auch von außen etwas auf. Luft und Wärme, Sonnenstrahlen, Berührung, Zärtlichkeit.

Die Haut schützt vor Verletzung – und ist doch selbst verletzlich. Schnitte, Stiche, Schläge, Verbrennungen, Kälte. Die Haut bietet Schutz – und sie braucht Schutz: Viele Tiere haben Fell oder Federn, der Mensch ist von Haus aus schutzlos – und benötigt deshalb Kleidung.

„Dünnhäutigkeit“ als Krankheit? Ja. Denn Dünnhäutigkeit schafft Leiden. Dünnhäutige Menschen sind sehr verwundbar. Wobei: Man ist ja nicht überall gleich verletzlich. Man hat da so seine wunden Punkte. Gut, wenn Sie Ihre wunden Punkte kennen. Vielleicht auch die Geschichte dazu. Und wenn Sie Ihre wunden Punkte benennen können.

An solchen wunden Punkten tut es höllisch weh, wo andere kaum etwas merken würden. Da hat jemand ein kleines Kieselsteinchen geworfen, aber was gefühlt ankommt, ist ein Pflasterstein. Kameradschaftliches Schulterklopfen kommt an wie brutale Schläge. Der eine ist tief verletzt, und der andere, der das getan hat, hat noch nicht mal etwas gemerkt. An wunden Punkten darf einem keiner rühren. Man wird „unberührbar“.

Ja, wunde Punkte haben eine Geschichte. Kaum jemand kommt damit schon auf die Welt. Manch einer versucht, sich gerade an den empfindlichen Stellen ein dickes Fell zuzulegen. Dickes Fell, das bedeutet: Es berührt mich kaum noch etwas, und vor allem kann mich niemand verletzen, keiner kann mir was. Harte Schale. Manchmal aber trotzdem: Zerbrechliche Schale. Und darunter der blutende Kern.

Die mit der dünnen Haut sind unberührbar, weil es so weh tut. Und die mit dem dicken Fell sind unberührbar, weil sie nichts und niemand mehr erreicht. Den einen geht alles so sehr unter die Haut, den anderen gar nichts mehr.

Und wie ist das bei Ihnen? Wo sind SIE dünnhäutig? Wo haben Sie Ihre wunden Punkte? Und: Wo haben SIE sich ein dickes Fell zugelegt, eine harte Schale, einen Schutzpanzer?

Ein Aussätziger kam zu Jesus, kniete vor ihm nieder und bat ihn, ihn zu heilen.

Die Geschichte beginnt mit einem Tabu-Bruch: Der Aussätzige kommt zu Jesus. Dabei hat er sich fern zu halten: Abstand schafft Schutz. Nicht nur für die Dünnhäutigen mit ihren wunden Punkten. Auch für die anderen: Ansteckungsgefahr! Die anderen wollen ja schließlich ihre heile Haut retten! Also: Unser Aussätziger riskiert viel, wenn er Jesu Nähe sucht. Nähe ist gefährlich. Aber die Sehnsucht nach Heilung ist größer. Und sein Vertrauen:

»Wenn du willst, kannst du mich gesund machen«, sagte er.

Und Jesus? Fast jeder andere wäre auf Abstand gegangen, hätte sich in Sicherheit gebracht. Jesus ist da anders:

Jesus hatte Mitleid mit ihm …

Jesus lässt sich den anderen nahe gehen. Mit-Leid bedeutet ja: Jesus ist selbst dünnhäutig für diesen fremden Menschen, er lässt sich das unter die eigene Haut gehen. Und jetzt:

… und (Jesus) berührte ihn. »Ich will es tun«, sagte er. »Sei gesund!« Im selben Augenblick verschwand der Aussatz und der Mann war geheilt.

Die BERÜHRUNG macht es. Gegen alle frommen Regeln. Gegen die Angst des Aussätzigen, dass es weh tun könnte. Gegen die Gefahr der Ansteckung. Die Hygienebeauftragten aller Kliniken würden beantragen, diese Geschichte aus dem Evangelium zu streichen.

Eine Berührung, die heilt: Die schlimmen Krankheitszeichen und Spuren der letzten Jahre verschwinden, die „dünne Haut“ wird – nein, kein dickes Fell. Sondern: Sie wird heil! Wie neu geboren.

So viel zu Körper und Seele. Nun noch die „soziale Heilung“:

Daraufhin schickte Jesus ihn sofort weg und befahl ihm: »Geh zum Priester und lass dich von ihm untersuchen. Sprich unterwegs mit niemandem. Nimm das Opfer mit, das Mose für die Heilung von Aussatz vorgeschrieben hat. Das soll für alle ein Beweis deiner Heilung sein.«

Jesus schickt den Geheilten weg – aber nun nicht mehr in die Einsamkeit, sondern unter die Leute. Genauer: Zu den Priestern, die damals so etwas wie das Gesundheitsamt sind. Keine Frage: Die heilende Berührung Jesu war ein Tabu-Buch. Aber für die Rückkehr in die Gesellschaft soll sich der Geheilte den Spielregeln unterwerfen: Auf dem Weg zu den Priestern Abstand halten; die priesterliche Untersuchung; das fällige Opfer.

Es kommt dann allerdings anders, der Geheilte ist einfach zu aufgewühlt, zu begeistert:

Doch als der Mann wegging, fing er sofort an, überall zu erzählen, was ihm widerfahren war …

Die „soziale Heilung“ scheint auch ohne priesterliches Gütesiegel ganz gut gelungen zu sein für unseren ehemals Aussätzigen. Aber das hat Konsequenzen für Jesus:

… so dass Jesus sich bald in keiner Stadt mehr öffentlich zeigen konnte und sich nur noch an abgeschiedenen Orten aufhielt. Aber auch dort strömten die Menschen von überall her zu ihm. (Markus 1, 40 ff.; Neue Genfer Übersetzung)

Die Nähe der vielen Menschen wird Jesus zu viel. Dünnhäutig ist er. Nun zieht ER sich zurück wie ein Aussätziger, hält sich „nur noch an abgeschiedenen Orten“ auf. Mit etwas Übertreibung könnte man sagen: Jesus trägt nun den Aussatz, von dem er den anderen durch seine Berührung befreit hat.

Und Sie? Sie mit Ihren wunden Punkten, Sie mit Ihrem dicken Fell? Sie können diese Geschichte als Ermutigung nehmen, es nochmal zu versuchen: Nähe wagen! Nicht blindlinks drauflos, nicht irgendjemand und schnurzegal, wer, wann, wo. Nein, gucken Sie schon hin, mit wem Sie es zu tun haben! Und trotzdem: Ohne Risiko und Wagnis geht es nicht. Es könnte wieder weh tun. Bitte bringen Sie auch etwas Nachsicht für den mit, dessen Nähe Sie suchen! Der macht vielleicht nicht alles richtig. Wie auch? Der kennt ja Ihre wunden Punkte nicht so genau.

Und: Diese Geschichte empfiehlt Ihnen JESUS als gute Adresse. Der nimmt nämlich nicht Reißaus. Der will Sie anrühren. Und: Was durch ihn geschieht, das passiert nicht, weil er so professionell ist. Sondern weil er sich anrühren lässt. Weil es es sich unter die Haut gehen lässt. Und weil Ihre Heilung sein Wunsch und Wille ist: „Ich will es tun!“ Man kann das Liebe nennen.

 

Gebet:

Christus, Du siehst mich so, wie ich bin. Du kennst meine Dünnhäutigkeit, meine Verletzlichkeit, meine Narben und wunden Punkte. Du kennst die harte Schale und das dicke Fell. Du siehst aber auch tiefer, Du weißt, was darunter liegt, weh tut, blutet.

Christus, so, wie ich bin, siehst Du mich. So liebst Du mich. So rührst Du mich an. Danke!