Andacht Monat Juni 2016

Von der Hand in den Mund                                             Lk 4, 26; aus Joh 6

Die Frau ist am Ende. Es bleibt ihr nur noch der Tod. Dabei hatte vor ein paar Jahren noch alles ganz anders ausgesehen. Damals, als ihr Joram sie heiratete. Das ganze Städtchen hatte mitgefeiert. Eine glückliche Zukunft lag vor ihnen. Nicht in Saus und Braus, aber sie würden ihr Auskommen haben mit ihrer Landwirtschaft vor der Stadtmauer.

Hach, und dann die Hochzeitsnacht. Es war wunderbar, und es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Kein Wunder – und trotzdem ein großes Wunder, dass ihr Junge nicht mal ein Jahr später das Licht der Welt erblickte. Ein Schrei – und dann war er angekommen.

Aber dann. Es ging alles ganz schnell. Joram hatte plötzlich Beschwerden. Am nächsten Morgen rüttelte sie an ihm. Keine Reaktion. Tot.

Bei der Bestattung war wieder ganz Zarpat auf den Beinen. Das gab ihr Halt. Aber nicht für lange. Für die anderen fing ja schon bald wieder ihr Alltag an. Für sie selbst nicht. Sie war jetzt eine Witwe. Rechtlos, schutzlos, völlig überfordert – von der Arbeit, von dem Schmerz, von der Angst, von dem schreienden oder weinenden Kind. Wenn sie ihn anschaute – der kam wirklich ganz auf den Papa raus.

Und dann kam die Dürre. Es regnete einfach nicht mehr. Und jeden Tag neu die sengende Sonne. Die Pflanzen verdorrten auf den Feldern. Erst wurden die Ernten spärlich, dann fand sich gar nichts mehr. Und dann, dann fing sie an, ihrem Sohn und sich selbst das Saatgut vorzusetzen. Da war klar: Das konnte kein gutes Ende nehmen.

Unterstützung von den Verwandten oder den Nachbarn? Ach, denen ging es doch selber kaum besser. Die ganze Gegend hier im Libanon war dem Untergang geweiht, wenn man die Leute hörte. Selbst die Götter waren machtlos. Oder sie hatten kein Interesse. Oder es war ihre Strafe. Aber für was? Und warum auch ihr Sohn? Und all die anderen Kinder?

Sie hatte an Flucht gedacht. Über die Türkei nach Griechenland. Oder über Nordafrika nach Italien. Aber sie hat ja kein Geld. Wovon die Schlepper bezahlen? Oder über die nahe­gele­gene Grenze nach Israel? Man sagte, der Gott Israels würde für sein Volk sorgen. Aber bevor sie aufbrechen konnte, kamen ganz andere Nachrichten: Es war dort kein bisschen besser.

Und nun: Ein letztes bisschen Saatgut ist noch da und ein letzter Rest Öl. Einmal noch Holz sammeln, einmal noch Brot backen. Und dann sterben. Eine Henkersmahlzeit. Das Schlimm­ste daran: dem Jungen dabei zu sehen und zu hören.
Der Mann ist auf der Flucht. Flucht vor dem Hunger, Flucht vor den Soldaten. Denn er ist Gottes Prophet, ein Staatsfeind. Einige Zeit hatte er sich an einem Bach versteckt. Da gab es Wasser. Und sein Gott schien an ihn zu denken: Immer wieder kamen Raben und brachten ihm ein paar Happen. „Unreine Tiere“, so hatte er es gelernt. Aber der Hunger ließ ihn dazu lernen: Sie waren Gottes Gabe. Fast wie Freunde. Der Name des Propheten: Elia.
Es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es war kein Regen im Lande. Da kam das Wort des HERRN zu ihm: Mach dich auf und geh nach Zarpat, das bei Sidon liegt, und bleibe dort. Denn ich habe dort einer Witwe geboten, dich zu versorgen. Und er machte sich auf und ging nach Zarpat. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke!

Die Frau horcht auf beim Holzsammeln. Jemand hat sie angesprochen. Einer mitAkzent. Ein Fremder. Einer aus Israel.

Wenn es ans Sterben geht, ist man normalerweise mit anderen Dingen beschäftigt, als Fremden Wasser aus der Zisterne zu holen. Aber sie macht es. Der Fremde hat ja Durst.

Als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit!Selbst wenn der Fremde aus Israel „bitte“ gesagt hätte: Das geht zu weit!

Sie sprach: So wahr der HERR, dein Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich hab ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will mir und meinem Sohn zurichten, dass wir essen – und sterben.

Aber der Fremde gibt nicht auf:

Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus. Dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. Denn so spricht der HERR, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der HERR regnen lassen wird auf Erden.

Was raten Sie dieser Frau? Ich finde die Sache klar: Ich rate ihr, den Kontakt zu dem Unbekannten sofort abzubrechen. Das „Fürchte dich nicht!“ könnte noch als hilfloser Ermutigungs-Versuch durchgehen. Aber dann dieses „Zuerst ich!“, wo die Frau und ihr Sohn doch selbst so gut wie nichts haben. Und dann dieses Versprechen mit dem nie ausgehenden Öl im Krug und dem Mehl im Topf. Das ist ungefähr so glaubhaft wie das Märchen vom süßen Brei bei den Brüdern Grimm. – Aber die Frau hört nicht auf mich:

Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des HERRN, das er durch Elia geredet hatte. (1. Könige 17, 7-17)

Kein Wort darüber, warum sie das tut. Kein Abwägen, kein Pro und Contra, keine Rück­sprache mit anderen. Sie tut es einfach. Mir kommt das so vor wie später bei Jesus: Der sieht den Zöllner Levi, sagt zu ihm: „Folge mir nach!“ – Und der geht einfach los! Verrückt. Es hat was von Ergriffenheit. Ich habe einen Moment lang überlegt, ob der Rattenfänger von Hameln auch hierher gehört. Tut er aber nicht. Der bringt nämlich den Tod, nicht das Überleben wie Elia. Und nicht das wahre Leben wie Jesus.

Jetzt sagen Sie: Das weiß man aber vorher nicht! – Stimmt. Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied: Beim Rattenfänger waren es verführerisch schöne Klänge. Bei Elia jedoch: Ziemlich dürre, fordernde, heraus-fordernde Worte. Keine Werbe-Agentur hätte die durch­gehen lassen, trotz des großen Versprechens.

Es kommt eine Zeit, in der diese Frau täglich neu ihr Letztes gibt. In der sie von der Hand in den Mund lebt und buchstäblich von ihrem Vertrauen zum Wort dieses Fremden, das er als Gottes Wort gesagt hat. Es ist wie mit dem Manna in der Wüste: Keine Vorratshaltung, jeden Tag neues Vertrauen. Es gibt auch kein ausgefeiltes Menü und keinen abwechslungsreichen Speiseplan. Jeden Tag dasselbe, es hängt einem langsam zum Hals raus. Aber es ist nahrhaft. Es reicht zum Aushalten und Überleben bis zum Ende der Dürre.

Gott sorgt für diese drei Leute. Sie haben zu essen. Warum für andere nicht? Keine Ahnung. Aber für diese drei sorgt Gott.

Und außer Essen? Die Frau und ihr Junge bekommen neuen Mut und neues Vertrauen. Die Verzweiflung muss weichen. Und Elia? Er bekommt eine Verschnaufpause vor den Soldaten des Königs von Israel, denn hier ist er im Ausland. Und: Er, der meist ein Einzelgänger ist und sich manchmal sehr allein gefühlt hat (siehe 1. Kön. 19, 10.14), macht hier eine neue Erfahrung – in einer WG oder einer Art Patchwork-Familie auf Zeit. Und: Gott mutet es diesem eifrigen und manchmal übereifrigen Gottesmann zu, in einem heidnischen Ort mit einer heidnischen Frau unter einem Dach zu leben.

Und was geht Sie das an? Vielleicht stärkt das Ihr Vertrauen: Auch wenn Sie sich wie diese Witwe völlig am Ende sehen, vielleicht buchstäblich den Tod vor Augen – es könnte sein, dass Gott schon noch Gutes für Sie hat. Vielleicht nicht das, was Sie sich wünschen, sondern völlig überraschend. Und vielleicht bekommen Sie Mut: Etwas Ungewöhnliches, Verrücktes, Naives zu wagen, auch Bedenkenträgern zum Trotz.

Gebet:

Gott, gerade wenn es dunkel ist auf meinem Weg: Sei Du meines Fußes Leuchte! Und lass mich das aushalten, wenn ich nur die nächsten zwei Schritte weit gucken kann! Amen.