Andacht Monat November 2017

„Hütet Euch …!“ Sollt ich meinem Gott nicht singen; Ps. 23

… sagt Jesus. Klingt nach einer Warnung. Wenn ich zu auffällig meine Hand nach Ihrem Portemonnaie strecke, dann werden Sie mir das sagen: „Hüten Sie sich!“ Die Warnung dahinter: „Denn sonst, Freundchen, wird es Dir übel ergehen!“

Bösewichte sollen sich hüten. Und Sie, Sie sollen sich vor ihnen hüten: unseriöse Anlageberater, windige Gebrauchtwagenhändler, Heiratsschwindler, Quacksalber, falsche Freunde. Alle, die um Ihr Vertrauen werben, es aber nicht wert sind, weil sie verkehrte Absichten hegen.
Ja, das ist vielleicht das Gemeinsame derjenigen, vor denen Sie sich hüten sollen: dass sie intensiv um Ihr Vertrauen werben. Allerdings gibt es auch Leute, die Ihr Vertrauen wert sind: Nicht jeder, der Ihnen einen Geld-Tipp gibt, Ihnen ein Auto verkauft, um Ihren Hand anhält, Sie medizinisch behandelt, Ihre Freundschaft sucht, führt Böses im Schilde. Und dann soll es ja noch vorkommen, dass jemand gute Absichten hat, aber trotzdem etwas Falsches sagt oder tut. Da ziehen Sie besser nicht zu schnell Mauern hoch und schütten das Kind nicht mit dem Bade aus.
Sollten Sie sich gerade auch vor MIR hüten? Na ja. Am Ende der Andacht kommt kein Vertrag über die neue Waschmaschine, von daher ist die Sache harmlos. Aber ich breite Ihnen meine Gedanken über wichtige Themen aus – schließlich geht es ja um Gott, um Jesus, um Vertrauen und Sich-Hüten. Da sind Sie gut beraten, nicht zu leichtgläubig zu sein, genau hinzuschauen.

Sollen sich andere vor IHNEN hüten? Wahrscheinlich auch „Na ja“. Ihnen werden Situationen einfallen, wo Sie wie ein Elefant im Porzellanladen waren, wo Sie das Vertrauen anderer enttäuscht haben, wo Sie vielleicht absichtlich Schlimmes taten. Und dann waren da noch Begebenheiten, wo sich jemand von Ihnen enttäuscht oder getäuscht fühlte, aber Sie ziehen sich den Schuh nicht an. Oft ist es schwer zu sagen, wer nun Recht hat mit seiner Sicht der Dinge. Meistens beide. Die Welt ist eben kompliziert.

„Hüte Dich!“, das mag als Warnung gemeint sein, aber von der Wort-Bedeutung her ist es etwas sehr Positives: Die Hirtin hütet ihre Schafe. Die Henne be-hütet ihre Küken unter ihren Flügeln. Da ist also jemand, die mir, dem Schaf oder dem Küken, Sicherheit und Geborgenheit gibt, die auf mich acht gibt. „Hüte Dich!“, das heißt dann auch: Sorge gut für Dich! Pass auf Dich auf! Sei beides: achtsam und wachsam! – „Der Herr ist mein Hirte!“ – Ja! Aber sei Dir auch selbst ein guter Hirte! Fahre DEM „guten Hirten“ nicht in die Parade im Gut-Sein zu Dir!

Nun aber zu Jesus und zu seinem „Hütet Euch!“ Jesus sagt das zu seinen Jüngern – zu Leuten, die sich zu Jesus halten, auf ihn hören, auf ihn schauen, ihre Hoffnung auf ihn setzen. Die haben, was die Vertrauens-Frage angeht, eine Antwort: Sie vertrauen auf Jesus. Dass andere vor Jesus warnen, davon lassen sie sich nicht sehr verunsichern. Sie haben „sich positioniert“, sie haben sozusagen ihr Herz vergeben.
Das ist wichtig, ein „Standpunkt“: Es ist gut, klar zu haben, wo ich bin und hingehöre. Das betrifft den Glauben, aber auch: Z.B. die Frage, wer ich als Person bin oder sein möchte; welche Ideale ich habe; wie ich leben möchte – und mit oder ohne wen; was meine politischen Überzeugungen sind usw. Alles eine Frage des Standpunkts.
Aber bitte seien Sie nicht starr und in Beton gegossen auf Ihrem Standpunkt! Sondern: „weicher“, flexibler. Dazu habe ich ein neues Wort gelernt: „Fallibilismus“. Das bedeutet: Ich habe eine Überzeugung, ich halte sie für richtig und für „besser“ als andere, sonst hätte ich sie nicht. Ich vertrete meine Überzeugung und werbe dafür. Aber ich halte es für möglich: Es könnte Gründe geben, die mich eines Besseren belehren. Dann würde ich meinen Standpunkt ändern.
Fallibilismus: Sie vertreten einen Standpunkt – Sie können ihn aber auch ändern. Wenn Sie so ticken, sind Sie dreierlei NICHT:
• Nicht Fanatiker. Als Fanatiker halten Sie Ihren Standpunkt für unumstößlich, da lassen sie kein bisschen dran wackeln.
• Nicht Skeptiker. Als Skeptiker können Sie sich zwar vorstellen, dass es endgültige Wahrheiten gibt. Aber was wirklich wahr ist und gilt, das kann man nie wissen.
• Nicht Relativist. Als Relativist meinen Sie, dass es sowieso nur persönliche Wahrheiten gibt, und keine Wahrheit, die für alle richtig ist und bleibt und gilt.

Mit all diesen Leuten ist schwer zu sprechen: Fanatiker hören Ihnen gar nicht richtig zu, die wissen es sowieso besser. Mit Skeptikern und Relativisten können Sie sich nett über Ihre Anschauungen austauschen. Sie können aber mit solchen Leuten nicht um DIE Wahrheit ringen. Es lässt sich mit diesen Leuten nicht streiten, was denn nun „wirklich“ gilt.

Jetzt nehmen wir mal an: Sie sind in Sachen „Glauben“ Fallibilist: Sie haben Ihren Standpunkt gefunden, Sie haben ihn durchdacht und tun das auch weiter. Sie haben ihn auch „durchlebt“, haben ihn mit hinein genommen in Ihre Lebensgestaltung. Sie haben schwierige Erfahrungen daran rütteln lassen, Ihr Glaubens-Standpunkt hat sich verändert, aber im Ganzen doch bewährt. – Müssen Sie sich dann wirklich hüten vor anderen Standpunkten?
Ich meine: Nein! Sie können sich entspannt auf „andere“ und ihre anderen Sichten einlassen. Sie müssen keine Angst haben, dass bei Ihnen alles zusammenbricht. Sie müssen Anders-Denkende und Anders-Lebende nicht schlecht machen, nicht verteufeln, schon gar nicht die „Ungläubigen“ wegbomben. Kurz: Haben Sie Ihren Standpunkt – und fürchten NICHT um ihn!
Aber wieso sagt Jesus dann: „Hütet Euch!“? Lesen Sie’s im Zusammenhang:

Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die es lieben, in langen Gewändern einherzugehen, und lassen sich gern grüßen auf dem Markt und sitzen gern obenan in den Synagogen und bei Tisch; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. (Alles: Lukas 20, 45-47)

Aha! Jesus warnt seine Jüngerinnen und Jünger mit keinem Wort vor der „Lehre“ jener Schriftge-lehrten. Er selbst hat ja mit ihnen viel diskutiert, und er gab manchmal seinen Gegnern inhaltlich Recht (z.B. Mt 23, 3a). Nein, vor der anderen „Lehre“ sollen sich die Anhänger Jesu nicht hüten. Sondern: Vor Leuten, die ein hohes Ansehen haben, die dieses Ansehen im doppelten Wortsinn „genießen“, die ganz wild darauf sind, toll da zu stehen, die sich großartig inszenieren. Und vor allem: Die Doppelmoral! Hüten Sie sich vor Leuten mit Doppelmoral! Vor denen, die das eine sagen und das andere leben!

Umgekehrt heißt das: Seien Sie offen gegenüber Menschen, die nicht viel Aufhebens darum ma-chen, wie sie „ankommen“, wie sie sich präsentieren. Und offen gegenüber Leuten, die vielleicht nicht toll reden, aber (überwiegend) glaubwürdig leben!
Und jetzt der Blick in den Spiegel. Sehen Sie da jemanden, vor dem Sie sich hüten sollten? Oder dem gegenüber Sie offener sein könnten? Und wenn Sie da im Zweifel sind, dann nehmen Sie das als Appell mit: Machen Sie weniger Aufhebens davon, wie Sie vor anderen dastehen. Und versuchen Sie, glaubwürdig zu leben. Stimmig mit Ihrem Standpunkt!

Gebet:
Gott, zumindest hier auf der Erde bin ich wohl nie ganz fertig mit dem, was wirklich gilt. Und nur selten ganz stimmig mit dem, was ich glaube. Ich bin ja noch auf dem Weg. Geh‘ Du ihn mit! Amen.