Heilige, Fremde, Gäste Gastmahl-Gleichnis, Lk 14
Sind Sie ein Heiliger, eine Heilige?
Die Meisten würden das verneinen. Nicht nur auf der Straße, auch in der Kirche. Denn „heilig“ wären Sie doch nur, wenn Sie besonders gut, vorbildhaft, fromm unterwegs wären. Sind Sie aber nicht. Wollen Sie vielleicht auch gar nicht.
Wenn Sie nun das Neue Testament fragen, dann sagt Ihnen das: Klar sind Sie als Christin oder Christ heilig! Aber eben nicht, weil Sie was Besseres wären oder sich dafür halten. Sondern: Schlicht und einfach dadurch, dass Sie sich zu Christus halten. Und das tun Sie vielleicht GERADE dann, wenn Sie um Ihre Mängel, Bedürftigkeit, Grenzen, Schuld wissen, sich also gerade NICHT für besonders toll halten. Christen als „Heilige“? Ja! Weil Sie sich in der Nähe des Heiligen Gottes wissen. Weil Sie Gott willkommen, angenehm, lieb und wert sind. Nicht wegen „toll“, sondern so, wie Sie sind. Um Christi willen.
Was man sich aber im Neuen Testaments so gar nicht vorstellen kann: Dass jemand ganz für sich allein Christ ist. Nein, Christsein ist Gemeinschafts-Angelegenheit. Das haben Sie selbst wahrscheinlich selbst schon mal gesagt – wenn Sie mal „Glaubensbekenntnis“ mitgesprochen haben. Zitat: „Ich glaube … die Gemeinschaft der Heiligen!“ Zur „Gemeinschaft der Heiligen“ sollen Sie sich nämlich nicht die Leute aus einem Heiligen-Kalender vorstellen, wie die auf Wolke Sieben fromme Lieder singen, sondern eine kleine oder größere Gruppe glaubender Leute von heute, und Sie selbst sind mitten dazwischen.
Und nun zu Paulus. Der will zu den Christen nach Rom reisen und schreibt vorher einen Brief, den „Römerbrief“. Da steht ausführlich drin, was er glaubt. Am Schluss wechselt das Thema. Wie die Mutter auf dem Bahnsteig noch schnell sagt: „Junge, putz Dir auch immer die Zähne, hör’ auf die Lehrer und sei vorsichtig!“, so gibt es bei Paulus gegen Brief-Ende auch schnell noch Tipps, Ermutigungen, Ratschläge. Hier ein Auszug:
Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die geschwisterliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes (…). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (aus: Römer 12)
Na, haben Sie die „Heiligen“ entdeckt? Da sind sie:
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. (Römer 12, 13)
Also: Die Nöte der „Mit-Heiligen“ dürfen „uns Heiligen“ nicht ganz egal sein.
Aber dann steht da noch etwas: „Übt Gastfreundschaft!“ Die Aufforderung zur Gastfreundschaft gibt es im Neuen Testament ein paar Mal. Sie gilt sogar als Voraussetzung für bestimmte Gemeinde-Ämter: Wer nicht gastfreundlich ist, darf dieses oder jenes Amt auch nicht übernehmen.
Wir hatten bei mir in Lengerich vor einiger Zeit eine Gesprächsrunde dazu: Was bedeutet das für mich, Gast zu sein? Was bedeutet es, Gastgeber oder Gastgeberin zu sein? Worauf achte ich da besonders? Wie „gut“ kann ich das? Welche Grenzen der Gastlichkeit gibt es?
All das läuft für mich auf folgenden Punkt hinaus: Als Gastgeber ist mir mein Gast willkommen; als Gast fühle ich mich willkommen. Wenn es mit der „Willkommenheit“ nicht stimmt, wird das ganze Gast-Sein murksig. Und wenn Sie sich selbst willkommen sind, verbessert das die Chancen, dass Ihnen der andere willkommen ist. Sicher nicht unter allen Umständen und zu jeder Zeit, aber wenn, dann ist er, ist sie richtig willkommen.
Manchmal kann es schwierig werden, wenn Gastgeber und Gast unterschiedliche „Sprachen des Willkommens“ sprechen: Essen und Trinken ist vielen wichtig. Oder dass aufgeräumt ist. Oder dass es ein Geschenk gibt. Oder dass man „gut“ miteinander spricht. – Wobei es sehr unterschiedliche Vorstellungen geben kann, was ein „gutes“ Gespräch ist. Oder „angemessene“ Kleidung. Oder dass man zusammen etwas tut, unternimmt. Dass man Zeit füreinander hat. Oder, oder.
Wenn nun die eigene Gastlichkeits-„Sprache“ nicht zu der des anderen passt – na ja. Beispiel: Sie wollen Ihren Gast kulinarisch verwöhnen. Nun treffen Sie aber auf jemanden, der erstens auf Diät ist und sich zweitens durch Ihren Aufwand unter Druck gesetzt fühlt, sich bei Ihrem Gegenbesuch zu „revanchieren“. Tja, da werden sich beide nicht ganz wohl fühlen.
Gastgeber sein bedeutet, dem Gast „Raum“ zu geben: Zeit-Raum, Raum-Raum, Themen-Raum, Bedürfnis-Raum, … Das heißt dann auch: die Willkommens-Sprache des anderen beachten und achten. Ohne die eigene Willkommens-Sprache gänzlich zu verleugnen. Das Gleiche steht dem Gast ebenfalls gut an. Der lässt sich ja auf den Raum des Gastgebers ein, es sind DESSEN Spielwiese und DESSEN Spielregeln. Ich finde, ein Gast sollte sich NICHT immer „wie zu Hause“ fühlen und sich auch nicht unter allen Umständen so benehmen.
Für jemanden wie Paulus bedeutet Gast-Sein auch: ein Bett bekommen. Er ist ja Reise-Missionar, und er besucht immer wieder die Gemeinden, die er mal gegründet hat.
Gast ist man nicht auf Dauer. Es gibt z.B. eine Gemeindeordnung aus der frühen Christenheit (die „Didaché“), die ausdrücklich die Gast-Zeiten für Reisende in Sachen „Evangelium“ begrenzt. Gast-Sein bedeutet: wieder aufbrechen. Wer bleibt, muss etwas anderes werden, der ist nicht mehr Gast, sondern Mitbewohner.
Und nun nochmal zum Paulus-Zitat. Paulus schreibt auf Griechisch, da heißt Gastfreundschaft: Philo-Xenia. Philia ist die Liebe, Xenos ist der Fremde. Wörtlich: „Gastfreundschaft“ bedeutet: „Fremden-Liebe“! Es geht nicht nur um meine nächsten Angehörigen und Freunde, die ich jahraus, jahrein sowieso dauernd sehe. Sondern um „die anderen“.
Mich „der Nöte der Heiligen annehmen“, das meint „die Gemeinde“, oder allgemeiner: „meine Leute“, eben Familie, Freunde, Bekannte, den „inner circle“. Und „Gastfreundschaft üben“ meint: Fremden-Liebe, das gelebte „Willkommen“ zu denen, die mir unbekannt, fremd, vielleicht befremdlich sind. Der „outer circle“.
Das geht Sie als Einzelnen etwas an: Eben nicht immer nur im eigenen sozialen Sud zu schmoren, sondern auf andere zuzugehen, auch Fremde mal ganz konkret einzuladen. Das geht „uns“ als Bürger/innen unserer Gesellschaft etwas an. Auf Neu-Deutsch: „Willkommens-Kultur“, z.B. für Menschen, die als Flüchtlinge „unsere“ Gäste sind. Und dann wahrscheinlich „Mitbewohner“ werden.
Und: Paulus spricht von der christlichen Gemeinde. Wie steht’s denn da? Gerade vor ein paar Tagen habe ich die Meldung von einer Kirchengemeinde gehört, die ihren Kirchraum als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stellt. Philo-Xenia, Fremden-Liebe
Und im alltäglichen Gemeindeleben? Wenn Sie gelegentlich in eine Gemeindeveranstaltung gehen – eher als „Gast“: Nimmt da jemand Notiz von Ihnen? Oder sind Sie nachher genauso unerkannt wieder weg, wie Sie gekommen sind? Es gibt auch noch andere Gemeinden …
Und wenn Sie einigermaßen regelmäßig hingehen: Haben Sie „neue Gesichter“ schon mal angesprochen? Zum Kirchkaffee mitgenommen? Das ist vielleicht eine mutige Tat, erst recht, wenn Sie selbst ein bisschen schüchtern sind. Da liegt es dann nahe, sich nicht verantwortlich, nicht zuständig zu fühlen und entweder schnell nach Hause zu gehen oder sich zu denjenigen zu stellen oder zu setzen, mit denen Sie sowieso fast jeden Sonntag zusammen stehen oder sitzen. Aber: „Übt Gastfreundschaft!“ oder „Übt Fremden-Liebe!“, das hat Paulus den „Heiligen“ geschrieben, also Ihnen, auch wenn Sie keine/r sein wollen.
Gebet:
Christus, ich danke Dir, dass ich Dir willkommen bin. Ganz so, wie ich bin. Mit all dem, was ich mitbringe. Ohne all das, was mir fehlt.
Und, Christus, ich möchte Dir Raum geben in meinem Leben, und nicht nur in der Abstellkammer für die Dinge von früher. – „Komm, Herr Jesus, sei Du unser Gast!“ Auch noch nach dem Essen.