Andacht Oktober 2015

Nicht das Blaue vom Himmel                                                            Mk 8; Bei Dir, dem Weinstock

Lesen Sie gern Biografien? Wenn ja, wird die Bibel Sie in diesem Punkt enttäuschen. Denn „richtige“ Biografien sind Lebensgeschichten von der Wiege bis zur Bahre. Na ja, nicht ganz, denn wer seine Auto-Biografie schreibt, ist ja noch nicht gestorben. Aber halbwegs „ganze“ Lebensgeschichten in der Bibel? Fehlanzeige. Höchstens bei Jakob, Josef, Mose.

Sonst ist es mehr wie bei Abraham: Was der die ersten 75 Jahre seines Lebens alles macht und erlebt, interessiert die biblischen Schreiber kein bisschen. Für sie wird es erst da interessant, als Gott zu Abraham spricht – und ihn auf seine alten Tage aufbrechen lässt. Bei Jesus ist das nicht viel anders: Im ältesten Evangelium, dem von Markus, fängt Jesu Geschichte erst mit seiner Taufe an. Da ist er um die 30.

Was ist wichtig? Was ist bemerkenswert und erzählenswert? Jetzt nicht bei Abraham oder Jesus, sondern in IHRER bisherigen Lebensgeschichte? Sie könnten da ein kleines Gedanken-Experi­ment machen:

  • Was aus Ihrem bisherigen Leben würden Sie für Ihre persönliche Auto-Biografie aufschreiben? (Was davon evtl. öffentlich machen?)
  • Was aus Ihrem bisherigen Leben gäbe in 100 Jahren Stoff für eine Biografie ab?
  • Welche Notizen oder Geschichten aus Ihrem Leben würde Verwendung finden, wenn jemand die Bibel weiterschreiben würde?

Übrigens: Ihre Antworten auf diese Fragen wären vor 20 Jahren vielleicht deutlich anders ausgefallen. Früher wichtige Dinge können nämlich ihre Bedeutung verlieren. Und früher belanglose, alltägliche Dinge können einem im Rückblick sehr, sehr kostbar werden.

Wenn nun für biblische Erzähler das Leben da erzählenswert wird, wo Gott sich ins Spiel bringt, dann könnte man annehmen: Von da an wird das Leben aber auch wirklich bedeutungsvoll, tiefgründig, lebenswert, neu, fröhlich und was Sie sich sonst noch wünschen. Oder?

Ich finde: Nein! Aber es gibt Leute, die genau so für den christlichen Glauben werben. Ich habe von ganz früher noch so eine Liedstrophe im Ohr. Die verspricht einem, wenn man Christ wird, „ein interessantes, ausgefülltes Leben“, eines, das „lebenswert und neu“ wird. Ich sehe das anders. Ich halte das sogar für gefährlich. Wer high life in Dosen verspricht, kann schnell als Lügner dastehen. Und enttäuschte Jesus-Fans zurücklassen. Dazu heute ein Blick auf – Jesus selbst:

Es begab sich, als alles Volk sich taufen ließ und Jesus auch getauft worden war und betete, da tat sich der Himmel auf, und der Heilige Geist fuhr hernieder auf ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. (Lukas 3, 21 f.)

Whow! Eine Eins-A-Glaubens-Wende im Leben des Jesus von Nazareth: Er entscheidet sich zur Taufe, er betet, der Himmel tut sich über ihm auf, er ist voll be-Geist-ert, von Gottes Geist erfüllt, und er hat es buchstäblich gehört: Ich bin Gottes Kind! Ab sofort steht das Lebens-Barometer auf „Sonnenschein“, das Alte ist vorbei, jetzt darf es „interessant, ausgefüllt, lebenswert, neu“ werden, oder? – Nein, Pustekuchen!

Jesus aber, voll Heiligen Geistes, kam zurück vom Jordan und wurde vom Geist in die Wüste geführt und vierzig Tage lang von dem Teufel versucht. Und er aß nichts in diesen Tagen, und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn.

Dabei hätte Jesus nach diesem Tauf-Start von einer geistlichen Erfahrung zur nächsten geführt werden können – und unter die Leute kommen können, um von dieser Kraft in Wort und Tat weiterzugeben! Aber nein: Jesus landet in der Wüste. Ausgerechnet! „Wüste“, das ist ungefähr das Gegenteil von dem, was man sich unter dem prallen Leben vorstellt: Hitze und Kälte im Wechsel, Einsamkeit, Stille. Hunger und Durst. Keine Menschenseele weit und breit. Und für Smartphone-Nutzer: ein Funkloch. Man ist nicht erreichbar, und man kann niemanden erreichen.

Welcher Spielverderber ist daran schuld? Wer schickt Jesus in die Wüste statt zu den Menschen? Klare Antwort: Jesus wird „vom GEIST in die Wüste geführt“! DER Geist, der bei der Taufe auf ihn hinabgekommen ist. Passt nicht so ganz zum glaubensvollen high life in Dosen, oder?

Wobei – Stichwort „Smartphone“. Ganz unerreichbar ist Jesus doch nicht. Einer erreicht ihn, ist trotzdem an seiner Seite. Nein, nicht „der liebe Gott“. Sondern: der Teufel!

Der Teufel aber sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, dass er Brot werde!“

Gerade erst vor 40 Tagen hatte es Jesus bei seiner Taufe von Gott gehört: „Du bist mein lieber Sohn!“ Aber nun wird ihm das in Zweifel gezogen: „Bist du Gottes Sohn?“ Sich einfach auf Gottes Zu-Sage verlassen, das reicht nicht. Um Gottes Kind zu sein, da muss schon ein bisschen mehr kommen – sagt der Teufel. Aus Steinen Brot zum Beispiel. Jesus könnte das doch! Jesus könnte dem Teufel und sich selbst beweisen, wer er ist. Und Jesus könnte seinen entsetzlichen Hunger stillen. Und mittelfristig den Hunger der Welt beheben. Tolle Aussichten!

Außerdem: Wer sagt denn, dass der „leibhaftige Teufel“ mit Hörnern, Rußmantel und Pferdefuß daher kommt? Vielleicht eher ein sympathischer, attraktiver, freundlicher, ein bisschen kumpelhafter Typ mit herbem Parfüm? Wahrhaftig: In der Wüste macht der „leibhaftige Teufel“ manch­mal mehr her als der unsichtbare und unfassbare Gott.

Da setzte ich drei Ausrufezeichen: !!! Denn: Ein „handfester Glaube“, der über jeden Zweifel erhaben ist, mit klarem Profil, obendrein noch verbunden mit Satt-Sein und ansprechender Gesellschaft, dieses „tolle“ Glaubensleben ist – zumindest in unserer Geschichte – eben nicht „göttlich“, sondern teuflisch. Wer Ihnen so etwas vollmundig verspricht, der könnte Ihr Versucher sein. Und falls Sie anderen diese Dinge versprechen, sind Sie es auch. Sie mögen es von Herzen gut meinen und das auch alles selbst glauben – Sie sind es trotzdem.

Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht allein vom Brot.«

Sondern wovon lebt der Mensch noch? Das Matthäus-Evangelium sagt es uns an dieser Stelle: Von jedem Wort aus Gottes Mund. Da ist es wieder, das Wort, das Jesus bei seiner Taufe gehört hatte: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ Jesus muss sich das durch kein Wunder der Welt verdienen. Er muss es nicht beweisen, nicht sich, nicht der Welt, nicht dem Teufel. Er IST Gottes geliebtes Kind! Das behält für ihn Gültigkeit, auch in der Wüste. Auch noch später im Garten Gethsemane, wenn er „Abba!“ beten wird – „Papa!“

Die zwei folgenden Versuchungen haben andere Themen als „Steine zu Brot“. Aber wieder geht es darum, sich zu beweisen und etwas zu beweisen, außerdem um die Erfüllung sehr hochgesteckter, etwas größenwahnsinniger Wünsche. Ich kann mir gut denken, dass das für Jesus sehr reale Versuchungen sind. Aber er weist sie zurück. Sein Glaubens-Weg ist ein anderer. Es ist ein Weg mit seinem himmlischen Vater. Ein Weg, der Wüste, Versuchung und Kreuz nicht einfach ausblendet und weg beamt. Nein, Jesus durchlebt das alles.

Eine Werbe-Predigt sieht anders aus. Dabei will ich Ihnen den Glaubensweg als Christin oder Christ keineswegs als Jammertal verkaufen. Nur: Wüste, Versuchung, Scheitern, Tod, das gibt es trotzdem. Mit demjenigen an Ihrer Seite, der das alles durchlitten hat. Sein Halt ist mehr wert als das Blaue vom Himmel, das andere Ihnen versprechen.

 

Gebet (aus einem alten Lied):

Jesu, geh voran / auf der Lebensbahn! Und wir wollen nicht verweilen, Dir getreulich nachzueilen. Für uns an der Hand / bis ins Vaterland!