Der Segen hinter dem Fluch (Andacht für September)

Vom russischen Bauern

Heilung! – Was für ein schönes Wort! Heilung des Körpers, Heilung der Seele, Heilung einer Beziehung, Heilung eines Schmerzes. Heilung! – Was für eine Sehnsucht! Vielleicht ist das jetzt der Augenblick, danach in Ihrem Herzen zu spüren:  „Welche Heilung ersehne ich?“ Oder auch: „Welche Heilung ersehne ich NICHT, weil ich das nicht zu hoffen wage?“

Dazu dann gleich noch folgende Frage: „Wie groß oder klein ist denn meine Hoffnung?“ Anders gesagt: Für wie wahrscheinlich halte ich es, dass das Ersehnte auch Wirklichkeit wird? – Für mich persönlich ist das manchmal eine Gratwanderung mit der Heilungs-Hoffnung: Man kann sie zu früh aufgeben. Oder man kann sie zu spät aufgeben. Sie können das für Ihre Heilungs-Sehnsucht überprüfen: „Wie wäre das, wenn real eine gute Chance auf Heilung besteht, aber ich habe die Hoffnung aufgegeben?“ Und umgekehrt: „Wie wäre das, wenn real KEINE Chance auf Heilung besteht, aber ich halte immer weiter an der Hoffnung fest?“

In der Bibel gibt es eine ganze Reihe von Heilungen, speziell in den Jesus-Geschichten. Jesus, der Heiland. Aber er heilt nicht alles, nicht immer, nicht überall. Kein Bericht darüber, dass z.B. einem Einbeinigen ein neues Bein gewachsen wäre. Und ausgerechnet in seinem Heimat-Ort konnte Jesus nicht in der üblichen Weise heilen (Markus 6, 5).

Heute nun eine groteske Gegen-Geschichte zur Heilung. Ich muss nicht lange raten, warum ich dazu noch nie eine Predigt gehört habe. Während durch Jesus viele Menschen Heilung erfahren, passiert in dieser Geschichte das Gegenteil: Einer wird blind. Und es hat jemand seine Finger im Spiel, der ausdrücklich „mit Heiligem Geist erfüllt“ ist.

Wir befinden uns in der „Apostelgeschichte“. Es gibt u.a. schon eine christliche Gemeinde in Antiochien in Syrien, östlich der Mittelmeer-Insel Zypern. Von hier aus werden nun zwei Leute zur Mission ausgesandt. Der eine: Saulus (später Paulus genannt) aus Tarsus in der heutigen Türkei, nord-nordöstlich von Zypern. Der andere: Barnabas. Der stammt direkt von Zypern (Apg 4, 36). Die beiden nehmen als Gehilfen noch einen Johannes Markus mit und reisen nach – na? Zypern!

Als sie (…) die ganze Insel (…) durchzogen hatten, fanden sie einen Mann, einen Magier (…) mit Namen Barjesus, der bei dem Prokonsul Sergius Paulus war, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus herbei und begehrte das Wort Gottes zu hören. Elymas aber, der Magier – denn so wird sein Name übersetzt -, widerstand ihnen und suchte den Prokonsul vom Glauben abzubringen.

Damit sind die Rollen verteilt: Auf der einen Seite der höchste Repräsentant Roms auf der Insel, ein verständiger Mensch. Der ist interessiert am christlichen Glauben und will mehr wissen. Und auf der anderen Seite der Magier Elymas, der das verhindern will. – Wieso eigentlich? Es steht nicht ausdrücklich da, aber ich vermute: Wenn sein Chef Christ wird, wird es problematisch mit seinem Job als Magier.

Saulus aber, der auch Paulus heißt, blickte, mit Heiligem Geist erfüllt, fest auf ihn hin …

Man sagt das ja manchmal so: Da ist einer „vom Saulus zum Paulus“ geworden. Da hat sich einer um 180 Grad gedreht. Wie damals bei Saulus vor Damaskus. Saulus, der Christenverfolger, dem auf einmal Christus erscheint. Und dann wird er zum Christen – und wird später zu dem wichtigsten Missionar. Nur: „Vom Saulus zum Paulus“ ist er vor Damaskus trotzdem nicht geworden. Erst in unserer Geschichte heute hören wir so ganz nebenbei: Saulus heißt auch Paulus. Der eine Name für die jüdische Welt, der andere für die griechisch-römische. Vielleicht schreibt Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, das hier, weil sowieso gerade vom Prokonsul Sergius PAULUS die Rede ist. Ein Namenvetter.

Also: Paulus ist mit Heiligen Geist erfüllt und blickt den Magier fest an. Es gibt ja Leute, die tun sich schwer damit, Blickkontakt aufzunehmen und zu halten. Erst recht bei Typen, die einen nicht leiden können. Ob das was miteinander zu tun hat? – „Mit Heiligem Geist erfüllt“ und „fester Blick“? Ich kann mir das gut denken. „Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit!“ (2. Timotheus 1,7).
Kraft, Liebe, Besonnenheit? Kraft – ja. Aber nicht so besonnen und schon gar nicht liebevoll klingt, was Paulus jetzt zu dem Magier sagt:

„Du, voll aller List und aller Bosheit, Sohn des Teufels, Feind aller Gerechtigkeit! Willst du nicht aufhören, die geraden Wege des Herrn zu verkehren? Und jetzt siehe, die Hand des Herrn ist auf dir! Und du wirst blind sein und die Sonne eine Zeit lang nicht sehen!“

Grobe Worte. Eine Verteufelung. Na ja, nun wissen wir nicht, was genau dem vorangegangen ist. Aber mehr noch: Die Worte zeigen Wirkung:

Und sogleich fiel Dunkel und Finsternis auf ihn. Und er tappte umher und suchte solche, die ihn an der Hand leiteten. Dann, als der Prokonsul sah, was geschehen war, glaubte er, erstaunt über die Lehre des Herrn.

Kurz und knapp: Der eine, Elymas, wird blind. Und der andere, Sergius Paulus, wird in gewisser Weise sehend.

Beim ersten Lesen passte mir das nicht: Der Kritiker, der Andersdenkende, wird kurzerhand und sehr massiv abgestraft. Beim zweiten Lesen sehe ich die Sache völlig anders. Wieso? Es gab schon vorher einen dezidierten Gegner Jesu Christi und seiner Anhänger, der für eine Weile blind wurde und sich führen lassen musste: Kein anderer als Paulus selbst! Damals vor Damaskus! Der auferstandene Christus selbst hatte ihm damals zugemutet und verordnet, was er nun dem Elymas mitgibt: eine Phase des Nicht-Sehens und Sich-führen-Lassens, damit ihm die Augen aufgehen und er einen neuen Weg einschlagen kann.

Ich will damit Blindheit kein bisschen schön reden. Paulus wie Elymas waren ja nicht im üblichen Sinne erblindet: Es war zeitlich befristet. Nur ein paar Tage eben. Aber diese paar Tage, die scheinen sie dann doch gebraucht zu haben: Sie, die vorher sehr genau „wussten“, wo es langzugehen hatte, sie waren auf einmal orientierungslos. Sie, die andere auf ihren „rechten Weg“ bringen wollten, mussten sich nun selbst führen lassen. Wie heißt es so treffend über Elymas? Es „fiel Dunkel und Finsternis auf ihn. Und er tappte umher und suchte solche, die ihn an der Hand leiteten.“ Ein paar Tage heilsame Verunsicherung. Ein paar Tage, um die helfende Hand von Mitmenschen zu erleben. Ein paar Tage, um ihre Hilfe und Orientierung annehmen zu lernen. Wenn Paulus in seiner „Verfluchung“ dem Elymas sagt: „Die Hand des Herrn ist auf Dir!“, dann hat das nur auf den ersten Blick etwas Niederdrückendes oder In-den-Schatten-Stellendes. Sondern: Auf den zweiten Blick ist es ein Segen!

Und was geht Sie und mich das an? Wenn Sie sich gerade auf der Sonnenseite des Lebens befinden sollten: Vermutlich nichts. Aber vielleicht, wenn „Dunkelheit und Finsternis“ auf Sie gefallen sein sollten wie auf Elymas oder vorher auf Paulus. Die Geschichte ist eine Einladung, es für MÖGLICH zu halten, dass auf den zweiten Blick der Fluch als Segen erscheinen könnte. Mehr bitte nicht, als es vage für MÖGLICH zu halten! Elymas hat ja auch nicht gleich gejubelt: „Juchhu, jetzt im Dunkeln mache ich ganz neue und bereichernde Erfahrungen mit mir, mit der Hand der anderen, mit Gott!“ Nein, das nicht. Aber womöglich so der vage Gedanke: „Wer weiß, vielleicht hat der ‚Fluch’ noch eine andere Seite.“

Mehr als dieses „Vielleicht“ hat diese Geschichte nicht zu bieten, denn anders als nach der Blindheits-Phase des Paulus erfahren wir ja nicht, was später aus Elymas wird. Das Happy End gibt es vorläufig nur für den Prokonsul: Sergius Paulus „glaubt“ und ist „erstaunt über die Lehre des Herrn“. Halleluja!

Gebet:

Gott, ich bitte Dich um Deine Hand auch auf mir! Dass sie mir verdunkelt, was mir allzu klar zu sein scheint. Dass sie mich hält, wo ich haltlos bin. Dass sie mich zur helfenden Hand meines Nächsten führt. Dass sie mich behütet und segnet! Amen.

Dirk Klute