Fertig werden (Andacht für September)

Lesung: Reicher Kornbauer

Na, fertig? Alles erledigt? Endlich mal Zeit, die Hände in den Schoß zu legen? In Ruhe lesen oder spazieren gehen? – Aber nein, irgendwas drängt doch, oder? Da war schließlich noch was wegzuarbeiten! Ach was, eine ganze Liste haben Sie im Kopf! Ein paar Sachen sollten Sie nicht auf die lange Bank schieben! Und ja nichts vergessen! Vielleicht eine Liste auch auf Papier?

Ich stelle mir vor: So ungefähr ergeht es Jesu Jüngern auch. Jesus schickt sie nämlich los unter die Leute, in die Städte und Dörfer. Sie sollen den Leuten in Wort und Tat den Anbruch des Reiches Gottes bekannt machen. Jesus sagt ihnen:

Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus! Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch! (Matthäus 10, 7-8)

Große Dinge, die die Jünger anstoßen sollen: Krankes wird heil, Totes lebendig, der Aussatz des Lebens trennt nicht mehr von Gott und den Mitmenschen, die bösen Kräfte und Mächte in den Menschen drin, sie verlieren ihre Kraft. Also keine Zeit verlieren, nicht die Hände in den Schoß legen! Jesu Botschaft in die ganze Welt hinaus tragen! Jetzt!

Aber Halt! In den Versen vorher stellt Jesus eine deutliche Einschränkung voran, eine Begrenzung:

(…) Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. (Matthäus 10, 5-6)

Ein schwieriger Satz. Die Jünger sollen nur zu den Israeliten gehen. Das wird heute den meisten Christen nicht gefallen, denn sie sind ja mehrheitlich nicht aus dem „Hause Israel“. Hatte Jesus wirklich nur die Israeliten im Sinn mit seiner Botschaft? Im Matthäus-Evangelium sieht es so aus. Da gibt es noch an einer anderen Stelle die Beschränkung auf Israel. Und erst der Aufer­standene sagt seinen Jüngern, und mit ihnen allen Jünger-Generationen „bis ans Ende der Welt“:

Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker … (aus Matthäus 28, 19)

Für Matthäus geht es also nacheinander: Erst Israel, dann die Völker. Aber das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Denn Jesus selbst ist da nicht konsequent: Auch im Matthäus-Evangelium ist Jesus schon in seinen Erdentagen höchst persönlich im Heidenland und tut dort das, was er seinen Jüngern nur für Israel aufträgt: böse Geister austreiben (Matthäus 8, 28 ff.; 15, 21 ff.), Leute gesund machen (Mt 8, 5 ff.)

Aber Reihenfolge hin oder her, mir kommt es aus einem ganz anderen Grund auf die Auftrags-Beschränkung an. Und damit sind wir wieder bei dem, was Sie alles noch zu erledigen haben, wenn Sie hier mit dem Lesen fertig sind:

Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt. (Matthäus 10, 23)

Will sagen: „Mit Eurem Auftrag nur für die israelitischen Orte habt Ihr schon mehr als genug zu tun. Ihr werdet damit nicht fertig! Also bindet Euch nicht gleich die ganze Welt ans Bein!“

Ich halte das für eine weise Einsicht, dieses: „Du wirst sowieso nicht fertig!“ Eine Weisheit für Sie, falls Sie in der Illusion leben: „Wenn ich alles erledigt habe, wenn die ganze Liste abgearbeitet ist, wenn meine Forderungen am mich selbst und alle Erwartungen der anderen erledigt sind, dann – ja, dann endlich kann, darf, werde ich die Beine hoch legen! Oder das tun, was ich immer schon wollte. Oder mit mir endlich mal zufrieden sein. Oder meinen Glauben pflegen – ja sicher, der kommt manchmal ein bisschen kurz …“

Die Wahrheit ist: Sie werden nie fertig. Wenn Sie aber meinen, Sie müssten erst fertig werden und könnten dann glücklich sein, tja, dann werden Sie auch nie glücklich.

Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt. (Matthäus 10, 23)

Man kann viel darüber sagen, was Jesus wohl mit dem Kommen des „Menschensohnes“ meint – oder mit seinem Wieder-Kommen. Und was Matthäus damit meint, als er diese Worte Jahrzehnte nach Jesu Kreuzigung, seiner Auferweckung, seiner Erhöhung zu Papier bringt.

Aber für Sie und mich nehme ich mal einfach an: Unsere Begegnung mit dem kommenden Menschensohn und unser Tod – das ist derselbe Augenblick. Und wenn Sie das auch so sehen, dann könnte man doch so sagen:

„Der Tod kommt immer, bevor Du fertig bist. Der Tod kommt immer zu früh!“

Dieses „immer“ ist natürlich übertrieben. Man sagt zum Beispiel, dass der Tod zu spät kommt, wenn Sie sich in den Augen der „Beurteiler“ nur noch quälen. Oder wenn Ihnen „all Ihre Lieben“ schon seit Jahrzehnten weggestorben sind und Sie sich so fremd, vereinsamt, unbeheimatet fühlen. Oder wenn Sie sich für nutzlos halten, wo Sie sich doch Ihr ganzes Leben lang über Ihren vermeintlichen Nutzen, Ihre Leistung , Ihren Einfluss definiert haben.

Für die Meisten kommt er zu früh, der Tod. Es hätte doch noch etwas zu erledigen gegeben, in Ordnung zu bringen, zu erleben, zu erfahren. Oder der Tod kommt eben doch zu spät. Ob zu früh oder zu spät – die meisten Menschen machen es dem Tod durch ihre Einstellung unmöglich, zur rechten Zeit zu kommen, nicht mal beim besten Willen (den der Tod oft nicht aufbringt).

Der Tod kommt zu früh. Oder es kommt etwas anderes dazwischen: Die Kräfte sind plötzlich weg, eine Krankheit fordert unerbittlich ihr Recht, Verbündete für meine Ziele fallen aus oder steigen aus, ich komme aus anderen unerfindlichen Gründen meinen Zielen nicht näher. – „Ihr werdet nicht zuende kommen“, sagt Jesus. Desillusionierend ist er.

Und tröstend. Erst recht, wenn ich mit super hohen Idealen und Zielen antrete, wenn ich die Welt retten will. Wenn ich „Kranke gesund, Tote aufwecken, Aussätzige rein, böse Geister austreiben will“, vorzugsweise die der anderen. Das ist schließlich Jesu Auftrag, oder? Dann gilt dieses: „Schön! Aber Du wirst nicht fertig werden!

Jesus gibt seinen Jüngern einen „Zwischen“-Auftrag. Irgendwo in der Mitte zwischen „Ich lege von vornherein die Hände in den Schoß“ und „Ich mache alles, und zwar vollständig und perfekt!“ Also: Packen Sie mit an! – In dem Wissen: Sie werden Manches unerledigt aus der Hand legen. Und deswegen: Nehmen Sie sich nicht „die ganze Welt“ vor, sondern „die Städte Israels“, also den überschaubaren Bereich, mit dem Sie so halberlei klar kommen!

Das gilt nicht nur „für’s ganze Leben“, sondern speziell für heute! Seien Sie ein bisschen kritischer zu sich selbst, was Sie denn heute wirklich bequem und zufrieden schaffen können! Alles andere endet in Frust, Überforderung – und auf die Dauer in Lähmung und Depression.

„Bis der Menschensohn kommt“, sagt Jesus. Wir müssen am Ende des Tages, der Woche des Lebens Unfertiges aus der Hand legen. Aber wir dürfen es auch. Heute abend. Und am Samstag abend, dem Beginn des Sonntags. Und am Lebens-Abend. Es aus unserer Hand legen und in seine Hand. Die des Menschen- und Gottes-Sohnes. In die Hand des Vollenders.

Gebet (von Johannes Hansen):

Am Ende dieses langen Tages

lege ich ab

Bücher

Briefe

Schlüssel

Schuhe

Kleider und die Uhr.

Am Ende dieses langen Tages

lege ich auf dich

Ängste

Sorgen

Mühen

Freude

Trauer

Sehnsucht

Und meine Schuld.

Am Ende dieses langen Tages

lege ich mich

ganz und gar

still und geborgen

mein guter Gott

in deinen Schutz und Frieden.

Dirk Klute