Gegen „gute Christen“ (Andacht für Dezember)

Verlorenes Schaf

Na super, so weit ist es schon gekommen: Jetzt schreibe ich als Pfarrer gegen die „guten Christen“. Dabei bin ich doch selbst einer, ein Christ. Nur finde ich: Bei fast allen Sätzen, die über diese drei Wörtchen „Ich bin Christ“ hinaus gehen, kommt schnell Murks heraus.

Falls Sie jetzt fürchten, Sie bekämen es hier weiter mit Wortdefinitionen und solchen unnützen Sachen zu tun: Sie haben Recht. Aber: Manchmal zeigen die Worte, wie wir uns selbst sehen und begreifen, mit welchen Augen wir die anderen sehen, wie es mit uns und Gott aussieht. Es geht also um total viel, fast um alles. Und wenn wir an wichtigen Stellen lernen, unsere Worte anders zu benutzen oder neue Worte zu finden, dann kann das ganz schön viel, fast alles, ändern …

Hier ein paar Formulierungen, die ich nicht mag – und warum ich sie nicht mag:

  • „Ich bin ja kein guter Christ.“ Wer so spricht, betrachtet den christlichen Glauben vor allem als Einrichtung zur moralischen Verbesserung der Menschen. Als Mittel, damit man ein anständiger Mensch wird und bleibt. Es geht um Regeln des Zusammenlebens. Schön und gut, ich bin auch für Moral. Und für Verantwortung. Aber das als Mitte des christlichen Glaubens? Da würde die zweite Hälfte der Zehn Gebote reichen. Gott wäre da nicht so dringend nötig. Höchstens als Erziehungs-Instanz: Zuckerbrot und Peitsche, Himmel und Hölle, damit wir immer schön brav sind. Christentum als Erziehungs-Anstalt? Von Jesus Christus müsste dann auch nicht die Rede sein. Höchstens als „guter Kerl“. Aber Karfreitag und Ostern? Leiden, Sterben, Auferweckung Christi? Brauche ich das, um ein anständiger Mensch zu sein? Nein. Und dafür gibt es viele gute Beispiele.
  • „Ich bemühe mich ja, Christ zu sein.“ Dahinter steckt wieder das moralische Missverständnis. Zugespitzt: „Christ bin ich erst, wenn ich alles richtig mache!“ So jemand würde aber niemals sagen können: „So, und jetzt, jetzt bin ich Christ!“ Der oder die lebt immer im Bewusstsein des eigenen Ungenügens, mit dem schmachvollen Graben zwischen Ideal und Wirklichkeit. – Wenn das mit dem „Bemühen“ nicht nur Koketterie ist, denn manch ein „Bemüher“ findet sich im Grunde seines Herzens eigentlich ziemlich toll.
  • „Er ist praktizierender / aktiver Christ.“ Damit ist jetzt nicht „guter / moralischer Mensch“ gemeint, sondern: „fromm“. Kirche, Beten, Abendmahl, Bibel und Bibelkreis … Die Formulierung klingt mir allerdings ein bisschen so wie „praktizierender Liebhaber“: Das wäre dann einer, der seine Liebste regelmäßig trifft (mal mehr, mal weniger gern), der sich mit und ohne Worte intensiv mit ihr austauscht und der überhaupt seinen Tageslauf so gestaltet, dass man merkt: Seine Liebste und die Beziehung, die bedeuten ihm was. – Aber was wäre dann ein nicht-praktizierender Liebhaber? Zwar verheiratet, hat aber seine Ehefrau seit Jahren nicht getroffen? Oder ein heimlicher Liebhaber, von dem nicht mal die Geliebte selbst etwas weiß, weil er sich partout nichts anmerken lässt? Ich finde: Man ist Liebhaber, oder man ist es nicht. Wer nie „praktiziert“, ist auch keiner.
  • „Der ist ein guter Christ, der weiß es nur nicht.“Schon wieder das moralische Missverständnis. Als Christen gelten da moralisch anständige Menschen. Und obendrein ein logischer Fehler: „Christen sind gute Menschen – und (alle) guten Menschen sind Christen!“ Das ist natürlich Quatsch, denn es gibt außer Christsein noch viele andere ehrenwerte Gründe, moralisch verantwortlich zu leben. Außerdem ist es eine unfaire Vereinnahmung: Ich darf nicht einfach jemanden zum Christen erklären, nur weil mir das passt – obwohl es dem Betreffenden selbst überhaupt nicht passt. Das gilt auch für den folgenden Fall:
  • „Auch die Moslems und die Juden sind ja im Grunde Christen.“  – Na, da fragen Sie aber mal einen Moslem oder Juden, ob er denn im Grunde auch Christ sei. Der wird Ihnen was husten. Da könnten Sie ebenso einem Beethoven-Kenner unterstellen, eigentlich sei er doch Heino-Fan. Gut gemeint, es gibt auch Gemeinsamkeiten. Aber alle „Unterstellungen“, denen der andere selbst nicht zustimmen mag, sind und bleiben Vereinnahmungen.

Übrigens ist der Begriff „Christ“ oder „Christen“ fast schon ein unbiblischer Begriff, er kommt in der Bibel nämlich nur dreimal vor, wenn ich richtig recherchiert habe.
Um eine Stelle davon soll es jetzt gehen: In der „Apostelgeschichte“ wird berichtet, wann und wo dieser Begriff „Christ“ aufgekommen ist. Im Mittelpunkt steht dabei die Stadt Antiochia im heutigen Syrien (nicht das Antiochia in der heutigen Türkei). Zugleich sind Sie jetzt beim Entstehen der ersten christlichen Gemeinde aus Nicht-Juden mit dabei:

Die von der Gemeinde, die in der Verfolgungszeit nach der Ermordung von Stephanus aus Jerusalem geflohen waren, kamen zum Teil bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia. Sie verkündeten die Botschaft Gottes zunächst nur unter den Juden.
Aber einige von ihnen, die aus Zypern und Zyrene stammten, kamen nach Antiochia und verkündeten dort auch den Nichtjuden die Gute Nachricht von Jesus, dem Herrn. Gott stand ihnen zur Seite, so dass viele Menschen zum Glauben kamen und Jesus als den Herrn annahmen. (…) Hier in Antiochia kam für die Jünger und Jüngerinnen zum ersten Mal die Bezeichnung »Christen« auf. (Apostelgeschichte 11, 19-26 in Auszügen)

Offenbar haben die Leute in Antiochia den Anhängern der neuen Lehre diesen Namen „Christen“ verpasst, wohl als Spottname. Ganz ähnlich wie später z.B. bei den „Pietisten“ oder den „Methodisten“: Erst der Spottname von den anderen, später Selbstbezeichnung.
Kein Wunder: Die Zugereisten brachten schließlich den Einheimischen „die Gute Nachricht von Jesus, dem Herrn.“ Da wird wohl immer wieder dieses Wörtchen „Christos“ gefallen sein, „der Gesalbte“. Das meint im damals verbreiteten Griechischen nichts anderes als das hebräische „Messias“: Gottes Gesalbter, der von Gott gesandte Retter. Und da nun dauernd von „Christos“ die Rede war, da waren die Anhänger eben die „Christianoi“, die Christen.

Und von was genau sind diese Christen die Anhänger? Falsch gefragt! Die Frage muss lauten: Von wem sind die Christen Anhänger? Antwort: Im Text heißt es, dass „viele Menschen zum Glauben kamen und Jesus als den Herrn annahmen“. Christen sind nicht zuerst mit einer bestimmten Lehre verbunden, sondern mit einer bestimmten Person. Christsein ist Beziehung, nicht das Für-Wahr-Halten von Sätzen.

Und jetzt kommt etwas, was für moderne Ohren unangenehm klingt. Jesus wird als „Herr“ bezeichnet, das hat etwas von einem Herrschafts-Verhältnis. Es klingt zugleich jedoch befreiender, wenn ich mir vor Augen führe, wer dann nicht mein Herr ist: der Vorgesetzte, die Kanzlerin, die Eltern, der Partner, die Kinder, die Nachbarn. Auch kein Präses, Bischof, Papst (oder keine Präses, wie es demnächst in Westfalen heißen muss). Wer auch nicht mehr über mich herrschen darf: meine Angst und meine Skrupel, meine Sorgen, meine Schuld, meine Hoffnungslosigkeit, meine Sterblichkeit, … – Christus der Herr, da steckt viel Freiheits-Potential drin!

„Ich bin Christ“ – damit sagen Sie, zu wem Sie gehören. Um es mit den Worten des Heidelberger Katechismus zu sagen:

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre!

 Sind Sie Christin, sind Sie Christ? Hängen Sie Ihre Antwort nicht an die Moral und nicht an die Menge Ihrer frommen Aktivitäten. Und ein „Nein!“ ist auch nichts Ehrenrühriges.
Christsein ist eben doch wie „Liebhaber/in-Sein“: Sie sind nicht „weniger“, wenn Sie’s nicht sind. Und wenn Sie’s sind, sind Sie’s nicht dauernd, nicht ausschließlich, nicht mit immer derselben Leidenschaft, manchmal vielleicht auch zähneknirschend. Hauptsache, Sie wissen und Sie fühlen, zu wem Sie gehören!

Gebet:

Christus, nicht immer bin ich Dir verbunden, nicht immer fühle ich mich durch Dich befreit, nicht immer lasse ich mir etwas von Dir sagen, nicht immer suche ich Dich und nicht immer habe ich Leidenschaft für Dich. Aber danke, dass ich zu Dir gehören darf. Und dass Du mich suchst!

Dirk Klute