Psalm 8
Den Impuls zu dieser „Himmelfahrts“-Andacht habe ich bekommen, als ich buchstäblich meinen Blick erhoben habe. Als ich nicht mehr nur gesehen habe, was mir vor den Fingern und vor den Füßen liegt.
Sondern? Was in meinem Büro oben an der Wand hängt! Der Himmel! Hinter Glas …
Diesen Himmel hatte mir vor vielen Jahren eine Patientin zum Abschied geschenkt. In ein Papier sind die Scheiben eines großen Kirchenfensters geschnitten. Durch dieses Fenster hindurch sieht man einen leuchtend roten Abendhimmel über Meer und Ufer. Und über allem die Worte eines Gebets, das sie vermutlich selbst formuliert hat:
„Herr, gib mir Zuversicht und Hoffnung, dass bei Dir immer ein Platz sein werde für mich!“
Es ist wie so vieles, was ich täglich sehe: Ich „sehe“ es irgendwann kaum mehr wirklich. Aber diesen Himmel und dieses Gebet, die habe ich da für mich wieder-endeckt. Und beim Entdecken merkte ich: Während ich das Bild betrachte und die Gebets-Worte lese, wird das Gebet auch schon wahr, und ich habe wieder „meinen“ Platz. Bei ihm, bei Gott.
Einerseits das Bild mit der Weite des Himmels, andererseits Gottes Platz „bei mir“. Wo ist Gott denn nun? Im Himmel oder bei mir? – Jetzt sagen Sie vielleicht: „Aber Gott ist doch überall!“ Ja gut, das sagt man so. Aber fühlt sich das auch so an?
Heute ein Jesus-Wort aus seinen „Abschiedsreden“ im Johannes-Evangelium. Diese Abschiedsreden umfassen immerhin fünf der 21 Kapitel (13-18). Die Szene: Wir befinden uns am Vor-Abend von Jesu Gefangennahme, Aburteilung und Hinrichtung. Jesus spricht hier von seinem Weggang. Er wird nicht mehr sichtbar unter seinen Jüngern sein.
Sondern? „Im Himmel“? Das hätte der Evangelist so nicht gesagt. Aber „beim Vater“. Bei Gott, den doch noch niemand gesehen hat. Und den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern bekannt macht und nahe bringt.
Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
Jetzt weiß ich nicht, ob Sie schon mal Abschied nehmen mussten von einem Menschen, zu dem Sie aufgesehen haben und der Ihnen Halt und Orientierung gegeben hat. Von dem Sie meinten: „Ich brauche Dich doch! Du kannst doch nicht einfach gehen!“ Ich stelle mir dazu eine Szene am Sterbebett vor. Und dann höre ich von diesem sterbenden Menschen: „Dein Herz erschrecke nicht! – Hab’ keine Angst!“ Aber natürlich habe ich Angst! Trotzdem tut das gut, wenn mir das so auf den Kopf zugesagt wird: „Hab’ keine Angst!“
Und woher soll das Herz Trost nehmen, dass es sich nicht so erschreckt? Was braucht das Herz, um getröstet und mutig weiterleben zu können? Für die Situation am Sterbebett habe ich da keine Patent-Antwort, und wahrscheinlich gehört Haltlosigkeit unvermeidbar dazu.
Aber für Jesus und seine Jünger kann ich es nachlesen: Jesus spricht vom Glauben: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ – Glauben, das bedeutet: VERTRAUEN! Das Herz findet Halt an etwas. Oder besser: an jemandem.
Aber wie kann das Herz Halt an jemandem finden, der sich gerade verabschiedet? Darauf hat Jesus wiederholt die Antwort: „Ich sende euch den Tröster!“ Damit meint er den Heiligen Geist. Der soll den Jesus aus Fleisch und Blut, den die Jünger noch bei sich haben, vertreten. Dann nicht mehr „bei“ seinen Jüngern, sondern „in“ seinen Jüngern.
Schade nur: Diesen Geist kann ich nicht auf Kommando abrufen. Es kann sein, dass ich mich sehr „geistlos“ und ungetröstet fühle.
Ein weiterer Trost kann darin liegen: Jesus spricht seine Jünger in der Mehrzahl an, nicht als Einzel-Personen. Und wenn ich diese Gemeinschaft suche und ein Teil von ihr bin, dann stehen die Chancen gut, dass „wir“ uns gegenseitig trösten.
Später wird Paulus wagen zu sagen: Diese Gemeinschaft der Christinnen und Christen bildet den „Leib Christi“! Wer schlechte Erfahrungen mit dieser Gemeinschaft gemacht hat oder seinen eigenen Part darin kritisch sieht, wird wissen: Das ist nicht die ganze Wahrheit, diese Gemeinschaft hat auch andere Seiten. Aber: Trotzdem hat diese Gemeinschaft auch diese Seite: „Leib Christi“! So gesehen, ist Christus eben doch „leibhaftig“ und „greifbar“ zugegen.
Unser Text von oben hat aber noch einen dritten Trost, denn er geht so weiter:
In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. (Alles: Johannes 14, 1-3)
Da sind wir nun bei „Himmelfahrt“, auch wenn der Begriff „Himmel“ nicht fällt. Da wandert der Blick nun weg von mir. – Und wohin?
NACH OBEN! „Meines Vaters Haus.“ Dieses Haus, wo auch mir eine Wohnung vorbereitet wird, ist natürlich nicht im räumlichen Sinne „oben“, sondern „ganz woanders“, „jenseitig“ und „nicht von dieser Welt“. Aber der Himmel über mir ist da ein gutes Bild. Denn der Himmel umschließt meine kleine Welt da unten. Und er geht so viel weiter als die vielen Grenzen, auf die ich hier unten dauernd stoße: die Grenzen meiner Möglichkeiten, meiner Fähigkeiten, meiner Zeit. Grenzen meiner Angst. Grenzen meiner Liebe und meiner Vorstellungskraft. Die Grenzen, an die ich bei meinen Mitmenschen stoße.
NACH VORN: Diese Wohnungen im Vater-Haus, sie haben etwas von „Ewigkeit“. Von meinem zeitlichen Standpunkt aus betrachtet, liegen sie „vor mir“. Mein „Jetzt“ ist noch nicht das Ziel, und der Weg ist auch nicht das Ziel. Sondern meine wahre Heimat. Und wenn es mir dann unterwegs fröstelt oder mir unheimlich wird, dann darf ich nach vorn gucken und glauben: Das „Jetzt“ ist nicht von Dauer, es geht nach Hause!
Und dann doch: AUF MEINE FÜSSE! Der Blick geht dahin, wo ich jetzt stehe. Denn mein Ort jetzt und mein Weg, sie sind ja von diesem Himmel umschlossen. Es ist beides: Der Himmel über mir ist weit weg, ich komme nicht dran. Und er ist zugleich ganz nah: Ich bin von ihm eingehüllt.
Und darum hat das Bild in meinem Büro ganz recht: Die Weite des Abendhimmels – und die Hoffnung und Zuversicht: Bei Gott ist ein Platz für mich! Und wird es immer sein.
„Herr, gib mir Zuversicht und Hoffnung, dass bei Dir immer ein Platz sein werde für mich!“
Gebet (aus einem Lied)
Und mache fest das Herz!
Geh selber uns zur Seiten
Und führ uns heimatwärts!
Und ist es uns hinieden
So öde, so allein,
o, lass in Deinem Frieden
uns hier schon selig sein!
Dirk Klute