Licht in der Finsternis (Andacht zum 2. Advent)

Gen 1, 3-5

Welchen Monat verbinden Sie am ehesten mit „finster und trübe“? Mal ganz spontan?
Wahrscheinlich haben Sie sich, wenn Sie nicht lange überlegt haben, den November ausge­guckt. Dabei ist der Monat, der von den Tageslichtzeiten her am dunkelste ist, der Dezember. Aber zugleich ist der Dezember der Monat, der mit Abstand am intensivsten künstlich be­leuch­tet wird, und noch dazu ziemlich bunt. Das hat zu tun mit Advent und Weihnachten, mit Feiern, Gemütlichkeit und dem Geschäft.

Dabei ist die messbare Licht-Menge für das Licht-Empfinden gar nicht immer das Wichtigste. Eine kleine Kerze kann mehr Licht in die Seele zaubern als das Flutlicht im Stadion (erst recht, wenn das Spiel schlecht ausgeht). Und dann gibt es natürlich einen „Beleuchtungs­faktor“ für die Seele, der mit dem äußeren Licht gar nichts zu tun hat: Solche November-„Feier“-Tage wie Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag, Volkstrauertag haben es alle mit dem Tod zu tun, den man sich ja eher im dunklen Gewand vorstellt. Advent und Weihnachten dagegen, da geht es um eine Geburt. Und da denken wir eher an helle Sachen. Oder würden Sie Baby-Bettwäsche und Strampler in schwarz wählen? Wohl kaum.

Letzte Woche  haben wir uns die ersten Verse des Johannes-Evangeliums angeschaut. Da geht es jetzt weiter, und zwar mit Licht und Finsternis …

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. (Johannes 1, 4)

„In ihm“ – in wem? Das verraten uns die Verse vorher: in Gott! Oder in dem „Wort“, das bei Gott ist und das Gott selbst ist. Also: In Gott ist Leben, in Gott ist Licht! Unser Evangelist meint es noch spezieller, das kommt etwas später: Durch Jesus Christus kommt das Gottes-Licht zu den Leuten.

O.K., da ist das Licht. Und wo ist die Dunkelheit? Sie wird ja bis hierher noch nicht ausdrücklich erwähnt. Höchstens indirekt: Wenn das Gottes-Licht zum „Licht der Menschen“ wird, dann heißt das: Ohne dieses Licht tappen sie ganz schön in der Dunkelheit. So jedenfalls die Sicht des Evangelisten.

Hat der Evangelist recht? Ich finde ihn da schon ziemlich radikal. Ich entdecke auch viel Helles unter den Menschen, wo sie mit sich und anderen in Liebe umgehen. Und zwar auch dann, wenn sie nicht glauben oder ganz anders glauben und jedenfalls nicht sagen, dass Gott ihr Licht ist oder Christus.
Aber unser Vers stößt uns gerade auf die Dunkelheiten und darauf, dass nicht alles Gold ist, was glänzt – und vielleicht ausgerechnet Glanz und Glimmer ziemlich finster sein können.

Fangen wir mit den Dunkelheiten IN der Seele an: Da gibt es finstere Zeiten, in denen ich niedergeschlagen bin, ängstlich, ohne große Hoffnung. Quälend leer. Oder voller Schmerzen. Oder blind vor Wut. Oder der dunkle Fleck auf der weißen Weste: eine alte Schuld. Oder, oder …

Und dann ZWISCHEN den Seelen. Davon könnten Sie ein Klagelied singen, wie Finsternis in die Beziehungen zu anderen hineinkommen und sie beherr­schen kann. Und mit etwas Selbst­kri­tik werden Sie auch zur Kenntnis nehmen müssen: Es liegt in seltenen Ausnahmefällen nicht immer nur an den anderen …

Oder die Finsternis zwischen ganzen Gruppen, Schichten, Lagern. Die einen werden manchmal geradezu in den Abgrund gestoßen, damit die anderen immer „glänzender“ leben.

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.

Hier wird sie nun beim Namen genannt, die Finsternis. Und sie klingt wirklich finster: Eine pechschwarze Dunkelheit, wie eine Wand: Das Licht kann die Dunkelheit nicht durchdringen. Ich stelle mir das vor wie ein dunkles Gewölbe bei Nacht, und in der Mitte eine Kerze. Man sieht zwar die Kerze, aber ihr Schein kommt nicht mal bis zu den Mauern, die Dunkelheit „schluckt“ einfach das Licht.

Unser Evangelium spricht anschließend ein wenig über den Täufer Johannes. Der ist eine Art Hinweis-Schild auf das Licht Christus hin:

(Johannes) kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht. (Johannes 1, 7 f.)

Um ein Haar hätte ich bei der Vorbereitung dieser Andacht diese Sätze über Johannes den Täufer als unwichtig herausgekürzt – als mir klar wurde: Da hätten wir aber etwas ganz Entscheidendes über den Glauben verpasst!

Wieso das? Wieso muss überhaupt jemand wie Johannes kommen und sagen: „Liebe Leute, die Ihr im Dunkeln steckt, DA ist das Licht! Ich hab’s gesehen!“ Wenn die Leute im Finstern sind, müssten sie doch eigentlich jedes kleine Licht von selbst sehen, oder?

Nein, eben nicht! „Augenscheinlich“ sind die Menschen, also auch Sie und ich, so gestrickt, dass wir vor lauter Scheuklappen das Entscheidende nicht „sehen“. Vielleicht manchmal doch. Aber sicher nicht immer und überall, und auch nicht unbedingt dann, wenn wir uns besonders danach sehnen. Und deswegen sind Leute wie Johannes der Täufer vonnöten, die etwas von diesem Licht mitbekommen und es „bezeugen“, davon erfüllt sind, vielleicht davon sprechen oder singen. Damit Sie selbst, wenn Sie im Dustern stehen, etwas davon merken.

Und umgekehrt: Wo Sie selbst in diesem Licht stehen, wo Sie es sehen oder seine Wärme spüren, da können – nein, da SOLLEN Sie so eine Art „Johannes der Täufer“ sein. Es soll kein marktschreierisches Getöse werden. Sondern einfach: Dass Sie dieses Licht, das Sie erfüllt, nicht „unter den Scheffel stellen“, wie der Volksmund sagt. – Diese Redewendung hat der Volksmund übrigens aus der Bibel, von Jesus …

Ich meine: Unser Text liefert uns einen von manchen guten Gründen, warum Christsein als Solo-Veranstaltung und ausschließlich im stillen Kämmerlein eine unmögliche Möglichkeit ist: Sie wären als Einzel-Christ entweder ganz für sich allein „erleuchtet“, oder aber: Sie säßen ganz für sich allein im Dustern. Erst das Miteinander bringt da mehr Licht hinein …

Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 

Das ist doch ein wunderbarer Basta-Satz am Ende unseres Abschnitts heute: Das wahre Licht ist in die Welt gekommen – allen fürchterlichen Dunkelheiten zum Trotz. Und es erleuchtet – ja, wen denn? Die besonders „Erleuchteten“, die „Frommen“, die „Heiligen“? Nein, sondern: „ALLE MENSCHEN“! Auch die, die nichts davon sehen. Aber: Schön ist es schon, wenn man’s auch sieht. Oder die Wärme spürt. Oder wenigstens davon hört. Darum: Augen auf, dass Sie’s sehen! Arme auf, dass Sie’s spüren! Ohren auf, dass Sie wenigstens davon hören! Und Mund auf, wenn das Herz voll ist!

Gebet (Rudolf Stier, 1827; z.T. in EG 552):

Licht, das in die Welt gekommen, //  Sonne voller Glanz und Pracht,
Morgenstern, aus Gott entglommen, // treib hinweg die alte Nacht!
Zieh in deinen Wunderschein // bald die ganze Welt hinein!

Heile die zerbrochnen Herzen, // baue Dir Jerusalem
und verbinde unsre Schmerzen, // denn so ist Dir’s angenehm.
HERR, tu auf des Wortes Tür, //  rufe allen: Kommt zu mir!

Komm, erquick auch unsre Seelen, // mach die Augen hell und klar,
dass wir Dich zum Lohn erwählen, // Dich umfassen ganz und gar.
Ja, lass Deinen Himmelsschein unsers Fußes Leuchte sein!

Dirk Klute