Liebe braucht Zeichen (Andacht für November)

Doppelgebot der Liebe

Vielleicht wissen Sie’s ja von anderen besser als von sich selbst, also reden wir lieber von anderen, z. B. von Herrn A. Wenn Sie auf Herrn A treffen, können Sie sicher sein, dass er auf Fußball zu sprechen kommt. Bei Frau B ist es das Wetter, bei Herrn C die Krankheiten, bei Frau D die Nachbarschaft, bei Herrn E der Computer, bei Frau F Kochrezepte. Und es gibt natürlich noch weitere Spezialisten für: Aktien, Politik, Urlaub, Frauen, Männer, böse Chefs und schlechte Kollegen, Autos, das Ende der Welt. – „Wess’ das Herz voll ist, des geht der Mund über!“ Das große Thema, um das für diesen Menschen so viel im Leben kreist. Ach ja, und dann gibt es natürlich noch ein paar Themen, mit denen ist man auch dauernd beschäftigt, aber man sagt es niemandem. Die großen, allgemeinen Tabu-Themen. Oder die ganz persönlichen.

Aber jetzt doch mal zu Ihnen: Was fällt Ihnen da zu sich selbst ein? Womit fangen Sie in Gesprächen gern und immer wieder an? Und weiter: Welches ist Ihr Tabu-Thema? – Das Thema, das Sie sehr beschäftigt, aber Sie sprechen mit keiner Menschenseele drüber? Wenn Sie beides wissen – Ihr großes Thema mit anderen und Ihr Tabu-Thema im Herzen –, dann herzlichen Glückwunsch! Sie sind ganz schön weit in Ihrer Selbst-Erkenntnis! So viel weiß längst nicht jeder von sich! Und wenn Sie dann noch eine Ahnung davon haben, welches Thema Sie vielleicht zu wichtig nehmen, und welches zu unwichtig, dann nochmal herzlichen Glückwunsch!

Es gibt nicht nur Dauer-Themen von Einzelpersonen, auch Dauer-Themen von Gemeinschaften. Man kann sagen: Gemeinschaften bilden sich geradezu um bestimmte Themen herum: der Fußballverein um den Fußball, die Partnerschaft um die Liebe, der Staat um die Grundbedürfnisse aller herum (Sicherheit, Fürsorge, Infrastruktur, …). – Sie wissen natürlich: Manchmal sind die eigentlichen Themen in diesen Gemeinschaften dann doch andere: im Fußballverein, wer in den Vorstand soll und wer nicht; in der Partnerschaft, wer immer Schuld hat; im Staat, wie ich meine persönlichen Interessen oder die meiner Gruppe durchgesetzt bekomme.

Ach ja, und das große Thema, in der Welt und beim Einzelnen: Geld. Geld steht für: Macht, Sicherheit, Beständigkeit, Überlegenheit, Selbst-Wert, Lebensqualität, unbegrenzte Möglichkeiten, Käuflichkeit … Geld – der populärste Gott der Moderne. Ein Gott, der viele Opfer fordert: die Mitmenschen nah und fern, die Schöpfung; die Selbst-Aufopferung … Und wenn der Geld-Gott wackelt, dann kriegen alle das Fracksausen, siehe Euro und Griechenland.

Und nun zu dem Thema damals in Israel. Israel hat sich sein großes Thema nicht ausgesucht, es ist ihm (auf-) gegeben worden. Und dieses Thema ist, anders als die aktuellen Fußballergebnisse, immer das selbe. Sogar dieselben Worte. Noch heute kommen diese Worte an jedem Tag im Leben eines frommen Juden vor. Das Thema lautet:

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft! (5. Mose 6, 4-5)

Das „Höre, Israel!“ Auch das „Glaubensbekenntnis Israels“ genannt. – Aber das ist falsch. Wenn ich ein Glaubensbekenntnis formuliere, dann sage ich: „Ich glaube …“. Ich formuliere, wo ich stehe mit meinen Überzeugungen. Beim „Höre, Israel“ ist das anders: Da bin ich das angesprochene „Du“, ich werde angeredet (auch wenn ich selbst es mir aufsage), ich werde aufgefordert.
Mir wird auch nicht gesagt, wo ich stehe, sondern wo ich stehen soll – „mit ganzem Herzen, ganzer Seele, aller Kraft“: bei Gott! Ihn, Gott, lieben!

Dieses Thema soll konkurrenzlos im Zentrum stehen, denn: „Der HERR ist Gott, der HERR allein“. Als Standort-Vorgabe– für mich als Einzelnen und für uns als Gemeinschaft. Mit dem Herzen bei Gott sein, bei ihm Heimat und Halt haben, sich von ihm geliebt wissen. Mehr bei Gott als beim Fußball, beim Urlaub, bei den Krankheiten, beim Geld.

Zugleich steckt die Verheißung schon in Gottes Namen – dass Gott seinen Standort ganz bei mir, geradezu in mir hat: Im Original steht für „HERR“ der hebräische Gottesname הוהי („Jahwe“, von rechts nach links zu lesen). Der bedeutet: „Der-ich-bin-da“. Beim Gott Israels ist es völlig anders als bei Rumpelstielschen: Rumpelstielschen wurde, als sein Name bekannt wurde, plötzlich fassbar, greifbar, seine Macht war weg. Aber Gott lässt sich durch seinen Namen  „Der-ich-bin-da“ nicht fassen, nicht eingrenzen, nicht „definieren“. Gott entzieht sich unseren Vorstellungen und Be-Griffen. – Er entzieht sich, aber: „Ich bin da!“ Nicht zu fassen und ganz nah!

„Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben!“ Es geht um Liebe. – „Von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft!“ Sie kennen das vielleicht aus der Partnerschaft: Liebe sollten Sie möglichst nicht dauerhaft auf bloße Gedanken im Kopf beschränken – das klappt höchstens für ein kurzes Weilchen mit Teenie-Stars oder mit Richard Gere bzw. Marilyn Monroe, eben mit Wunschbildern statt einem realen Mit-Menschen. Nein, sondern hörbare, sichtbare, spürbare Nähe ist vonnöten!

Aber wenn der/die Andere nicht so direkt „greifbar“ ist? Dann helfen Zeichen: die Postkarte am Kühlschrank, das Foto, das Kleidungsstück, „unser“ Lied. Derselbe Stern, zu dem „wir“ an verschiedenen Orten um Punkt 23.00 Uhr aufblicken. Oder Briefe. Gerade erst als Buch erschienen: Die Briefe zwischen Helmut James Graf von Moltke und seiner Frau Freya, die während seiner Haft illegal durch den Pastor hin und her gingen, bis Moltke 1945 hingerichtet wurde. Freya hat sie alle als Schatz verwahrt bis zu ihrem Tode 2010. Liebe braucht Zeichen.

Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen. Und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore. (Deuteronomium 6, 6-9)

Da sind sie, die Zeichen. Worte sind Zeichen. „Gott“ als Thema. Auch mit Kindern. Die Liebe weitergeben. Sich Gott ver-gegenwärtigen mit diesen Worten an den wichtigsten Schwellen des Tages: beim Schlafengehen und Aufstehen. Die frommen Juden haben dafür Gebetsriemen – entsprechend der Anweisung „auf die Hand binden“ und „zwischen den Augen“. Da steckt in kleinen Kapseln dieses „Höre, Israel!“ drin. Und an einer weiteren wichtigen Schwelle soll dieses Liebes-Zeichen sein: an der Schwelle des Hauses, an den Pfosten. Da müssen Sie dran vorbei, wenn Sie aufbrechen. Und wenn Sie wiederkommen.

„Liebes-Briefe“, „Denk-Zettel“. Durchaus als Aufforderung. Wenn Ihr Liebster oder Ihre Liebste länger auf Reisen sind, dann könnte das Zeichen eines Rings am Finger oder ein Foto in der Wohnung für Ihren Besuch eine kleine Hilfe sein, nicht auf verkehrte Gedanken zu kommen. Ihnen selbst vielleicht auch. So ungefähr dürfen Sie das auch mit dem „Höre, Israel“ verstehen: Wenn Sie sich an den Schwellen Ihres Tageslaufs Gott vergegenwärtigen, dann soll das helfen, Gott, dem Einzigen, treu zu bleiben. Damit all die anderen Themen, die Ihnen heute wichtig sind, Ihnen nicht zu wichtig werden. Damit sich diese anderen Themen nicht zu Götzen aufspielen – und sie Sie letztlich gefangen, ängstlich, kraft- und mutlos machen.

Vielleicht haben Sie schon Ihre persönlichen Rituale gefunden, um Ihren Tag und Ihre Wege unter Gott zu stellen, um in seinem Licht den Tag zu leben. Falls nicht, hier als kleiner Bausatz. –  Ausschneiden, Klebeband, Türrahmen …

׃דחא הוהי וניהלא הוהי לארשי עמש
׃ךדאמ־לכבו ךשפנ־לכבו ךבבל־לכב ךיהלא הוהי תא תבהאו
                                                
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. (5. Mose 6, 4-5)

Dirk Klute