Matthäus 24, 1-2 (Andacht für Februar)

1. Könige 8, 27-30

Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.

Jesus und seine Jünger in Jerusalem. Fast wie Touristen, die sich antike Bauten anschauen. Bauten, bei denen einem der Mund offen stehen bleibt. Oder wie Pilger an einem Wallfahrtsort? Schließlich steht ja das Passafest vor der Tür, da ist die Stadt voll von Pilgern.
Allerdings: So ganz passt das nicht mit den Pilgern, die sich die Altertümer begucken:

  1. Der Tempel in der jetzigen Form ist noch keine 50 Jahre alt. Also keine „Altertümer“.
  2. Der Tempel ist unter Herodes dem Großen entstanden, und der war nicht gerade besonders heilig, sondern ein blutrünstiger Diktator. Das trübt den Anblick, wenn ein frommer Pilger auf den Tempel schaut.
  3. Der Zeitpunkt ist merkwürdig, als die Jünger ins Staunen kommen: Sonst kommen solche Begeisterungs-Rufe, wenn man sich der Stadt nähert und der Tempel plötzlich vor einem liegt. Aber hier: Jesus kommt gerade aus dem Tempel heraus. Er lässt den Tempel hinter sich. – Und jetzt wollen die Jünger, dass er sich nochmal umwendet. Da können alle auch nur das Äußere sehen, die Fassaden. Nicht das Innere.

Ich stelle mir das Ganze so vor: „Hey, Jesus, dreh’ Dich mal um! Ist er nicht prächtig, der Tempel, so in der Abendsonne?!“Eigentlich gibt es darauf nur zwei „passende“ Antworten:

  1. Zustimmung: „Ja, wirklich ganz toll!“
  2. Widerspruch: „Ach, na ja, beeindruckt mich eigentlich nicht so.“

Aber Jesus antwortet ganz anders. Zur Pracht des Tempels nimmt er gar keine Stellung, wie er jetzt im Moment so in der Abendsonne aufleuchtet. Sondern: Er blickt in die Zukunft:

„Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ (Alles: Matthäus 24, 1-2)

„Seht ihr nicht das alles?“ Na klar sehen die Jünger die riesigen Steine, die diese pompöse Anlage formen, wie sie so dastehen für die Ewigkeit. Die Jünger glauben zwar nicht bloß das, was sie sehen. Aber was sie aktuell sehen, das lässt sie staunen, davon sind sie ganz eingenommen.

Jesus dagegen „sieht“ in die Zukunft: Der Tempel – ein Trümmerhaufen; kein Stein auf dem anderen. Gut 40 Jahre später wird es tatsächlich so kommen, als die Römer einen mehrjährigen Aufstand niederschlagen, ein Blutbad anrichten und auch den Tempel zerstören. – Bis heute ist vom Tempel die „Klagemauer“ geblieben. Es sind also doch noch ein paar Steine aufeinander.
Im Matthäus-Evangelium ist dieser kurze Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern Verse „nur“ die Einleitung zur „Endzeitrede“ Jesu. Aber ich möchte Ihren Blick hier gar nicht auf das Folgende, die große Weltgeschichte, lenken, sondern auf Ihr Leben, auf Ihr „Lebenshaus“. Was hat Ihr Lebens-Haus mit dem damaligen Tempel zu tun? Spezieller: Wie betrachten Sie eigentlich Ihr Lebens-Haus? Welchen Blickwinkel nehmen Sie ein?

Vielleicht halten Sie diesen Vergleich für reichlich abwegig. Gut, Sie haben schon eine ganze Weile an Ihrem Leben gebaut, manches aufgebaut, ausgestaltet, eingerissen, renoviert. Aber was den Vergleich mit dem Tempel betrifft: Womöglich ist Ihr Lebens-Haus alles andere als ein Prachtbau, Sie finden das äußere Erscheinungsbild nicht sonderlich repräsentativ. Vielleicht ist das Bauwerk ziemlich klein, unscheinbar, krumm, schief, einsturzgefährdet. Vielleicht ist es alles andere als ausgerechnet ein Tempel und nicht besonders heilig.
Wenn Sie diesen Blickwinkel einnehmen, sind Sie in guter Gesellschaft: in der Gesellschaft der Jünger Jesu. Sie nehmen ja ebenfalls nur das Äußere in den Blick, die Fassade. Und sie sehen den Tempel als das, was er äußerlich darstellt: ein Haus zur Ehre Gottes.

Aber man kann das auch ganz anders sehen: Nicht die Fassade, nicht das Äußere, sondern das Innere! Selbst ein Gebäude, das äußerlich als Gotteshaus daher kommt, kann innerlich etwas ganz anderes sein, oder eben einfach leer und hohl. Und umgekehrt: Ein Gotteshaus „innen drin“ – man muss es ihm äußerlich nicht ansehen.

Was ist also ein Tempel? Und wann ist Ihr Lebenshaus ein Tempel? – Über die Antwort entscheiden nicht Architektur, Fassade und Erhaltungszustand. Entscheidend ist auch nicht, für was die Leute es halten und was sie begucken, bestaunen oder kritisieren. Entscheidend ist nicht einmal, ob Sie selbst auf Ihr Lebens-Haus mit stolzgeschwellter Brust oder mit Verachtung und vernichtenden Selbstkritik schauen. Sondern: Ob Ihr Lebens-Haus „innen drin“ ein Ort der Gottes-Begegnung ist, ob Gott sich da Raum nimmt und Raum bekommt. So kann auch die baufälligste Bruchbude ein wahrer Tempel sein.

Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Ein Blick in die Zukunft. Bei einer baufälligen Bruchbude hätte Jesus sich diesen Satz sparen können, das hätte jeder von allein gesehen. Bei dem Tempel des Herodes, bei einem repräsenta­tiven und ziemlich prachtvollen Lebens-Haus ist das anders: Das sieht ja alles wie für die Ewigkeit aus, das strahlt Stabilität aus, und wer dann so ein Bauwerk sein Eigen nennt, glaubt es irgendwann auch selbst.

„Kein Stein auf dem anderen, der nicht zerbrochen wird!“, das knallt ziemlich hart und desillusionierend in die Bewunderung der Leute oder in die eigene Selbstbeweihräucherung hinein. Gar nicht mehr schöne Aussichten!

Oder doch? Vielleicht hat es auch etwas Befreiendes, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt. Im Bild des Tempels gesprochen: Das erste größere Heiligtum, das sich Gott im Bericht der Bibel gedacht hat, war ein transportables Zelt. Und der erste Tempel, der als festes Gebäude zur Zeit Salomos gebaut wurde, war nicht größer als manche Dorfkirche. Ich vermute: Der Prachtbau zu Zeiten Jesu war zwar im Sinne des Erfinders, nämlich Herodes. Aber nicht im Sinne dessen, der dort gesucht und gefunden werden sollte: Gott.

Ähnlich Ihr Lebens-Haus: Die großen Quader-Steine, die so viel Bestand und Sicherheit verspre­chen und so bestaunt werden, sind zugleich eine Last. Sie machen starr und legen Sie fest. Keine Bewegung, keine Veränderung. Mit einem Leben als heiliges Zelt können Sie weiter ziehen und es mal so, mal so aufstellen. Mit einem Herodes-Tempel geht das nicht. Festgemauert.

Und wenn dann kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn alles zu Bruch geht, dann ist das auch eine Chance: Neu aufzubauen. Vielleicht nicht ganz an derselben Stelle. Vielleicht kleiner, leichter beweglicher. Vielleicht so, dass dieses neue Lebens-Haus besser zu Ihnen passt. Und denken Sie dran: Auch die kleine Bruchbude ist ein wahrhaftiger Tempel, wenn Gott darin Raum hat und Sie ihm darin begegnen. Und beim Neubau: Bauen Sie nicht für die Ewigkeit! Es wird sowieso kein Stein auf dem anderen bleiben. Den Bau mit Bestand, den nimmt jemand anderes in
die Hände. – Wie sagte Paulus so treffend?

Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. (2. Korinther 5, 1)

Gebet:

Gott, wenn ich auf mein Lebens-Haus blicke, dann stehe ich Dir manchmal sehr im Wege: Ich bin fixiert auf die Mängel, das Krumme, das Schiefe, Brüchige. Oder ich bin im Gegenteil fixiert auf das Prächtige und den Erfolg.
Ich bitte Dich: Löse mich aus der Fixierung auf mein Werk! Und hilf mir, meine Türen weit zu öffnen, dass Du in mir Wohnung nimmst! Amen.

Dirk Kute