Naaman III: Die Rückseite der Medaille (Andacht für Mai)

Matthäus 6, 24

Was bewegt das Herz? In unserer heutigen Geschichte: Das Geld. Eine sehr aktuelle alte Geschichte also. Jedes Geldstück hat eine Rückseite. Um diese andere Seite der Medaille soll es gehen.
Die Vorgeschichte: Naaman, der oberste General der syrischen Armee, ist an Aussatz erkrankt. Durch den Tipp einer israelitischen Sklavin wird Naaman auf den Propheten Elischa in Israel aufmerksam, dem man heilende Kräfte nachsagt. Mit einem königlichen Geleitbrief und einem Honorar von 10 Zentnern Silber, 6000 Goldgulden und 10 Feierkleidern macht sich Naaman auf den Weg. Nach ein paar Verwicklungen wird Naaman tatsächlich gesund, als er auf Anweisung des Propheten siebenmal im Fluss Jordan untertaucht. Er wird an Leib und an der Seele ein neuer Mensch. Naaman will dem Propheten Elischa nun all das Gold, Silber und die Feierkleider geben. Aber Elischa lehnt ab. So bricht Naaman mit all seinen Kostbarkeiten auf in die Heimat. Im Gepäck nicht nur die mitgebrachten Kostbarkeiten, sondern auch eine komplette Wagenladung israelitischer Erde: Auf dieser Erde möchte Naaman zukünftig auch in seiner Heimat zum Gott Israels beten.

Und jetzt der dritte und letzte Teil der Geschichte. Mit einer neuen Figur: Gehasi, Elischas Diener. Aber Vorsicht! Heute ohne Happy End …

Als Naaman (…) eine Strecke Weges fortgezogen war, sagte sich Gehasi, der Diener Elischas (…): Siehe, mein Herr hat diesen Syrer Naaman verschont, dass er nichts von ihm genommen hat, was er gebracht hat. So wahr der HERR lebt: Ich will ihm nachlaufen und mir etwas von ihm geben lassen. So jagte Gehasi dem Naaman nach. Und als Naaman sah, dass er ihm nachlief, stieg er vom Wagen, ging ihm entgegen und sprach: Geht’s gut? Er sprach: Ja. Aber mein Herr hat mich gesandt und lässt dir sagen: Siehe, jetzt sind zu mir gekommen vom Gebirge Ephraim zwei von den Prophetenjüngern. Gib ihnen doch einen Zentner Silber und zwei Feierkleider! Naaman sprach: Nimm zwei Zentner! Und er nötigte ihn und band zwei Zentner Silber in zwei Beutel und zwei Feierkleider und gab’s seinen beiden Dienern; die trugen’s vor ihm her.
Und als Gehasi an den Hügel kam, nahm er’s von ihren Händen und legte es beiseite im Hause (…). Und Elischa sprach zu ihm: Woher, Gehasi? Er sprach: Dein Knecht ist weder hierhin noch dorthin gegangen. Er aber sprach zu ihm: Bin ich nicht im Geist mit dir gegangen, als der Mann sich umwandte von seinem Wagen dir entgegen? Wohlan, du hast nun das Silber und die Kleider genommen und wirst dir schaffen Ölgärten, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde. Aber der Aussatz Naamans wird dir anhangen und deinen Nachkommen allezeit. Da ging Gehasi von ihm hinaus, aussätzig wie Schnee.(2. Könige 5, 19b ff.)

Vielleicht haben Sie früher schon mal von Naamans Heilung gehört – über Gehasis Erkrankung wohl kaum. Na klar, ein Happy End ist ja auch schöner. Und Gehasis Erkrankung stört unser Gerechtigkeitsempfinden, denn so ganz schlimm war er doch gar nicht! Er hat niemanden umgebracht und niemandem Unrecht getan. Sogar bescheiden ist er gewesen: Von den vielen Geschenken im Gepäck Naamans will er nur einen Bruchteil. Na ja, er erfindet eine Lügengeschichte für Naaman, und später redet er bei Elischa um den heißen Brei herum. „Kleine Sünden“ also. Da gibt’s doch schlimmere Sachen und schlimmere Leute, oder?

Also ein kleinlicher, ungerechter Gott? NEIN! Denn von Gott oder Gottes Strafe ist in der ganzen Geschichte mit keinem Wort die Rede! Elischa sagt es so: „Die Krankheit Naamans wird dir anhangen allezeit.“ Naamans Krankheit klebt geradezu an seinen Reichtümern. Hochinfektiöse, krank machende Reichtümer.
„Wohlan, du hast nun das Silber und die Kleider genommen und wirst dir schaffen Ölgärten, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde“, sagt Elischa. Luxus, Wohlstand, Ansehen, Sicherheit, alles aus Naamans Schatzkisten. Aber die Krankheit eben auch. DIE Krankheit, die General Naaman zuvor verloren hat, als er sich der Anweisung des Propheten unterwarf, von seinem hohen Ross stieg und in jenem Jordanfluss untertauchte, der kurz zuvor noch unter seiner Würde lag. DIESE Krankheit klebte an seinen alten Schätzen, aber NICHT an Naamans neuem Reichtum, der Wagenladung israelitischer Gebets-Erde.

Elischa hat wohl sehr genau gewusst, was er tat, als er Naamans Geschenke rundheraus ablehnte. Und Gehasi hat offenbar NICHT gewusst, was er tat, als er sich doch noch ein Stückchen vom Kuchen organisierte. Er hatte nur die EINE Seite der Münze gesehen – aber nun hat er die GANZEMünze am Hals, inklusive der Schattenseite.

Was für eine Krankheit hat Gehasi sich da eingefangen? „Aussatz“ ist ein Sammelbegriff für alle möglichen Erkrankungen der Haut. Aber eines war ihnen gemeinsam: Aussatz machte den Kranken zum „Unberührbaren“. Aussätzige konnten nicht mehr direkt mit ihren Mitmenschen in Kontakt treten, sie durften auch nicht am „normalen“ religiösen Kult teilnehmen, sie waren „kultisch unrein“. Gehasis Leiden ist also eine Kontakt-Störung. Die unmittelbare Beziehung zu den Mitmenschen wie zu Gott ist weg, es ist wie eine unsichtbare Mauer.
„Da ging Gehasi von (Elischa) hinaus …“ Gehasis letzte Handlung in dieser Geschichte ist das Weggehen, der Kontaktabbruch. Das ist also der Preis für seine glorreiche Zukunft, für „Ölgärten, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde“.

„Der Aussatz Naamans wird dir anhangen und deinen Nachkommen allezeit“, prophezeit Elischa. Was können denn die Nachkommen dafür? Ich meine: Wir haben es durchaus mit in der Hand, ob wir zu den Nachkommen Gehasis gehören oder zu denen von Elischa. Jedenfalls: Elischas Analyse ist messerscharf. Wer wie Gehasi im goldenen Käfig seinen Mitmenschen, seinem Gott und sich selbst entfremdet ist, der gibt häufig genau diese Werte, diese Lebensorientierung an die nächste Generation weiter. Lauter kranke, aussätzige Menschen und ganze Familien, obwohl alle Welt sie doch beneidet.

Wann hat Gehasis Krankheit angefangen? AUSGEBROCHEN ist sie erst am Ende der Geschichte. Aber INFIZIERT hat er sich eher. Als Naaman gerade weg ist, spricht Gehasi zu sich selbst: „So wahr der HERR lebt: Ich will ihm nachlaufen und mir etwas von ihm geben lassen.“ Der Anfang: der TRAUM vom großen Geld. Der TRAUM davon, mehr zu haben, als es um Gottes Willen gut für Gehasi ist. „Um Gottes Willen?“ Ja! Denn Elischa, Gottes Prophet, hatte ja ganz klar die Reichtümer abgelehnt. Bei Gehasi ist Gott nur noch Bestandteil der üblichen Schwurformel – „so wahr der Herr lebt!“ Ein Griff in die fromme Mottenkiste. Sein Herz hängt in diesem Moment schon an einem anderen Gott: am Reichtum. DA ist Gehasis Herz bereits infiziert, auch wenn der Aussatz erst später ausbricht. Es reicht, das große Geld als Wunsch im Herzen zu habenund ihm hinterher zu rennen. Man muss es noch nicht mal in der Hand oder auf dem Konto haben …

Und wir? Im Weltmaßstab: Hunger und Gier sind zwei Seiten derselben Medaille: Die Gier, mehr zu haben, als einem um Gottes Willen zusteht, kostet tagtäglich Tausenden das Leben, und Millionen anderen Menschen verhindert diese Gier der Nimmersatten ein Leben, das „wir“ Westeuropäer als menschenwürdig bezeichnen. Mehr noch: Die Gier bewirkt die Zerstörung der  Lebensgrundlagen unseres Planeten. Könnten Tiere und Pflanzen einen Rat abhalten, sie würden die MENSCHEN als den Aussatz des Planeten benennen – Gehasis Nachkommen eben.

Aber ich meine: Auch wir als Einzelne werden zuweilen krank an Lasten, die unsere Herzen herunter ziehen. Ich denke an Lasten, die uns als besondere Kostbarkeiten vorgegaukelt werden. Das viele Geld – als Versprechen auf eine rosige Zukunft. Meine knappe Zeit – und ich bilde mir ein, wie unverzichtbar ich bin. Das makellose Styling – und ich bin als Mann oder Frau anerkannt, begehrenswert, ewig jung. Der berufliche Erfolg, das tolle Auto – und alle bewundern mich. Die vielen Fremdwörter und verschachtelten Sätze – und keiner widerspricht mir.

Was sagte doch Elischa zu Gehasi? „Wohlan, du (…) wirst dir schaffen Ölgärten, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde. Aber der Aussatz Naamans wird dir anhangen!“ Luther sagte: „Woran Du Dein Herz hängst, das ist Dein Gott!“ Manche Götter versprechen das volle Leben, aber in Wahrheit bringen sie einen um’s Leben. Der Gott Elischas verspricht nicht das Schlaraffenland. Aber er schenkt Leben.

Gebet (aus einem Lied):

Du gibst das Leben, das sich wirklich lohnt.
Für dies Versprechen hast Du Dich nicht verschont.
Und Du gibst nicht nur ein wenig, Herr, die Fülle ist bei Dir!
Du, das Leben, gibst das Leben, das sich lohnt!

Dirk Klute