Elia: Verschwebendes Schweigen
Wirbelstürme haben enorme Kräfte, sie können Bäume und Häuser aus- und mitreißen. Aber in der Mitte, im „Auge“ des Wirbelsturms, da ist es still und ruhig. Das stille Zentrum einer enorm bewegten und bewegenden Sache.
An das Auge des Wirbelsturms musste ich denken, als ich die Ostergeschichte nach Matthäus gelesen habe. Auferstehung, das ist mehr als nur „Wiederbelebung“. Auferstehung, das ist wirklich ein Wirbelsturm. Auferstehung stellt die Welt auf den Kopf.
Dass Christi Auferstehung so erschütternd ist, finden Sie besonders bei Matthäus. Das fällt Ihnen sofort auf, wenn Sie neben seine Schilderung die Ostergeschichte die eines anderen Evangelisten lesen. So geht es los:
Als der Sabbat vorüber und der Sonntag angebrochen war, kamen Maria aus Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
Friedhofsruhe, Trauer, Verzweiflung. Man erwartet es auch nicht anders – nach dem, was diese Frauen vorgestern aus der Ferne beobachten mussten. Da blutete Jesus am Kreuz der Römer, da ist er gestorben. Und mit ihm: alle Hoffnung. So ist die Lage am Ostermorgen.
Aber dann, wie ein Blitz aus heiterem Himmel:
Da bebte plötzlich die Erde, denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, rollte den Stein weg und setzte sich darauf. Er leuchtete wie ein Blitz und sein Gewand war schneeweiß. Als die Wächter ihn sahen, zitterten sie vor Angst und fielen wie tot zu Boden.
Kein Wirbelwind, aber so ähnlich: ein Erdbeben. Eine Lichtgestalt, die vom Himmel auf die Erde – ja, was denn? – herabschießt. Der Blitz aus heiterem Himmel. Ein dicker Stein – nicht mehr an seinem Platz. Gestandene Soldaten, die vor Angst zittern. Wie vom Schlag getroffen, sinken sie zu Boden. Diese Römer, die doch die Macht haben, sie werden ohn-mächtig. Die Herren über Leben und Tod, sie sind nun selbst wie tot. Haben nichts mehr zu sagen, müssen schweigen.
Und die beiden trauernden Frauen, die noch vorgestern ohnmächtig Jesu Hinrichtung sahen? Sie fallen NICHT um. So können sie hören, was der Engel ihnen sagt:
»Ihr braucht keine Angst zu haben! Ich weiß, ihr sucht Jesus, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier, er ist auferweckt worden, so wie er es angekündigt hat. Kommt her und seht die Stelle, wo er gelegen hat! Und jetzt geht schnell zu seinen Jüngern und sagt ihnen: ›Gott hat ihn vom Tod auferweckt! Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.‹ Ihr könnt euch auf mein Wort verlassen.«
Die römischen Soldaten als Vollstrecker des Todes gehen in die Knie, sie fallen um. Und die beiden trauernden Jesus-Sucherinnen, die kommen jetzt so richtig auf die Beine:
Erschrocken und doch voller Freude liefen die Frauen vom Grab weg. Sie gingen schnell zu den Jüngern, um ihnen die Botschaft des Engels zu überbringen.
Bis hierher haben die beiden Frauen es mit der Oster-BOTSCHAFT zu tun, mit der NACHRICHT von der Auferweckung. Erst dann bekommen sie es mit dem Auferstandenen selbst zu tun:
Da stand plötzlich Jesus selbst vor ihnen und sagte: »Seid gegrüßt!« Die Frauen warfen sich vor ihm nieder und umfassten seine Füße. »Habt keine Angst!«, sagte Jesus zu ihnen. »Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen. Dort werden sie mich sehen.« (Matthäus 28, 1-10)
Nun gehen die Frauen also doch noch in die Knie. Aber nicht wie vom Schlag getroffen, sondern mehr wie vom Leben geküsst. Freude und Ehrfurcht. Eben nicht wie tot, sondern sehr lebendig ist das, wie sie die Füße des Lebendigen umfassen.
Aber ich möchte hier gar nicht beim Vergleich zwischen den römischen Soldaten und den beiden Jüngerinnen bleiben, sondern auf einen Unterschied zu sprechen kommen, den ich viel eindrücklicher finde: den zwischen dem Engel und Jesus. Beide stehen für dieselbe Sache: Ostern! Christus ist auferstanden, der Tod ist besiegt! Umso bemerkenswerter die Unterschiede:
- Der ENGEL, er ist der BOTSCHAFTER der Auferstehung. Er bringt die Nachricht in ziemlich imposanter Inszenierung zu den Menschen: Erdbeben, leuchtende Gestalt. Kraftvoll rollt er den dicken Stein weg. Und dann, erst dann, sagt er etwas. Er SPRICHT von der Auferweckung. Aber er kann den Frauen nicht den Auferstandenen zeigen. Nur eine Leerstelle, einen unausgefüllten Platz: „Seht die Stelle, wo er gelegen hat!“ Die letzten Spuren eines Toten.
- Und CHRISTUS? Der Engel rollt zwar den Stein weg, aber was IM Grab passiert, bleibt völlig verborgen. Der Sieg des Lebendigen über den Tod vollzieht sich nicht im Scheinwerferlicht, nicht mal im göttlichen, sondern in der Dunkelheit. Genau genommen, ist das Wegrollen nur eine starke Geste, denn niemand sieht jemanden herauskommen.
Und als Christus selbst vor den beiden steht? Plötzlich ist er da. Völlig unspektakulär. Die Erde bebt nicht, nichts leuchtet, keine rollenden Steine. Ein schlichter Gruß. Und: „Habt keine Angst!“ „Geht da und da hin, sagt das und das!“ Fertig. Während der Engel in seinem Glanz etwas unnahbar wirkt, umfangen die Frauen Christi Füße. Er ist ein anderer als früher, und doch ist er ihnen vertraut, irgendwie DOCH derselbe. Keine Berührungsängste!
Der Wirbelsturm und sein stilles Auge, um das sich alles dreht. Der Engel macht den Wirbelsturm, aber Christus ist die Mitte. Die stille Mitte.
Nun sind die Evangelien, die die Wirklichkeit der Auferweckung Christi erzählend irgendwie in Worte kleiden wollen, dabei sowieso sehr unterschiedlich. Aber einen Engel, der mit so viel Inszenierung und Getöse kommt, gibt es nur bei Matthäus. Meine Vermutung: Das ist mehr eine Ausschmückung als der O-Ton von Augenzeugen. Und: Eine AUSSAGEKRÄFTIGE Ausschmückung. Ich lerne daraus: Das Helle, Laute, Kräftige, Erschreckende, das Faszinierende und Wunderbare kann so mächtig sein, dass es mir gehen kann wie den römischen Soldaten: Es kann mich umhauen und in den Bann schlagen – aber das WESENTLICHE bekomme ich dann erst gar nicht mit, ich bin dafür dicht, eben „wie tot“. Oder es kann mir gehen wie die Frauen am Grab: Die Botschaft „Christus ist auferweckt worden!“ dringt zu mir durch – trotz des Getöses. Und sie weckt in mir Erschrecken, Freude, Faszination, ungläubiges Staunen.
Aber dem ZENTRUM begegne ich nicht im Getöse, sondern in der STILLE. Im Unspektakulären. Das Zentrum, das ist der Auferstandene selbst. Im hellen Licht kann man ihn schnell übersehen, im Lauten schnell überhören.
Wenn der auferstandene Christus diesen beiden Jüngerinnen so unspektakulär begegnet und freundlich grüßt, warum eigentlich grüßen sie nicht freundlich zurück und gehen nichtsahnend weiter? Warum erkennen sie ihn? Sehr einfach: Weil vorher sie schon mindestens ein paar Monate mit ihm unterwegs waren! Sie kennen ihn, er ist ihnen vertraut, bis in den Klang seiner Stimme hinein. Nur so können sie ihn wieder-erkennen.
Kurz und knapp, lese ich zwei Oster-Impulse aus dieser Geschichte:
- Gehen Sie vom Lauten in die Stille, vom Außergewöhnlichen ins Unspektakuläre!
- Machen Sie sich Jesus immer ein bisschen vertrauter – im Beten, im Lesen, im Hören, im Drüber-Sprechen! Sie können den Auferstandenen in Ihrem Leben besser wieder-erkennen!
Gebet:
Dirk Klute