Apostolicum
Die führenden Priester brachten Jesus am frühen Morgen von Kaiphas zum Palast des römischen Statthalters.
Nun ist Jesus völlig allein und ausgeliefert: Die führenden Priester, das sind Kaiphas und Hannas. Und dann der römische Statthalter: Pontius Pilatus. Nicht einmal ein Petrus ist mehr in der Nähe, der eben noch Jesus verstohlen hinterher geschlichen ist.
Pilatus ist einer der vier Menschen, die es später bis ins Glaubensbekenntnis „schaffen“: Erstens Jesus, na klar. Zweitens Maria. Drittens Sie, denn Sie sagen ja: „Ich glaube …“. Und viertens Pontius Pilatus: „Gelitten unter Pontius Pilatus“. Pilatus ist es, der das Todesurteil spricht und Jesus foltern lässt. Jesu Passion hat einen historischen Ort, und der Haupt-Täter hat einen Namen. Da kann er seine Hände zehnmal in Unschuld waschen. Er scheint sowieso nie langes Federlesen betrieben zu haben. Bis er dann im Jahre 36 abgesetzt wird:
Zu den Vorwürfen, die man ihm machte, gehörte (…), er habe sich am Tempelschatz bereichert und auf Kosten der Staatskasse eine Wasserleitung in sein Haus legen lassen. Philo von Alexandria zählt folgende Anklagepunkte auf: Bestechungen, Beleidigungen, Raub, Gewalttätigkeit, Zügellosigkeit, wiederholte Hinrichtungen ohne juristisches Verfahren, konstante Ausübung von extrem leidvoller Grausamkeit. (aus: Wikipedia, Pontius Pilatus)
Die führenden Priester und Pontius Pilatus. – Wo kommen Sie als Leser/in in dieser Runde vor? Bei der Verleugnungsgeschichte, da ging das mit Petrus ja noch ganz gut, sich in ihm wiederzufinden: der Prahlhans und der Versager, der dann doch noch neu anfangen darf – da können wir uns schon selbst wiedererkennen. Und wir dürfen es auch, dürfen aufatmen, neu beginnen. Aber die führenden Priester und Pilatus? Leute, an denen hier nichts Gutes zu entdecken ist? Sind Sie auch so eine/r?
(Die führenden Priester) selbst gingen nicht in den Palast hinein, weil sie nicht unrein werden wollten. Sonst hätten sie nicht am Passamahl teilnehmen können.
Das ist grotesk: Die Priester wollen es vermeiden, beim Betreten eines Heiden-Hauses kultisch unrein zu werden und dann nicht das Passa-Fest mitfeiern zu dürfen. Deswegen bleiben sie draußen. Im Klartext: Das Heiden-Haus macht sie unrein, aber sie haben nicht den Hauch eines Gespürs dafür, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn sie sich an einem Justizmord beteiligen. Sie bleiben sauber und anständig – gemessen an den Maßstäben, die sie sich selbst auswählen. Kurz: Die führenden Priester, das sind hier „die Saubermänner“.
Und dann: Pilatus. Er geht zu ihnen heraus, und nach einem kurzen Austausch über die Zuständigkeiten lässt er Jesus zu sich hinein holen.
Pilatus ging in den Palast zurück und ließ Jesus vorführen. »Bist du der König der Juden?«, fragte er ihn. Jesus antwortete: »Bist du selbst auf diese Frage gekommen, oder haben dir andere von mir erzählt?« Pilatus erwiderte: »Bin ich etwa ein Jude? Dein eigenes Volk und die führenden Priester haben dich mir übergeben. Was hast du getan?«
Jesus sagte: »Mein Königtum stammt nicht von dieser Welt. Sonst hätten meine Leute dafür gekämpft, dass ich den [führenden] Juden nicht in die Hände falle. Nein, mein Königtum ist von ganz anderer Art!« Da fragte Pilatus ihn: »Du bist also doch ein König?« Jesus antwortete: »Ja, ich bin ein König. Ich wurde geboren und bin in die Welt gekommen, um die Wahrheit offenbar zu machen und als Zeuge für sie einzutreten. Wem es um die Wahrheit geht, der hört auf mich.« »Wahrheit«, meinte Pilatus, »was ist das?« (Johannes 18, 28 ff.)
Mit dieser Frage nach der Wahrheit endet das Gespräch. Pilatus verlässt den Raum und seine Burg, um sich mit den Priestern zu beraten.
Pilatus, der Philosoph? Der sich über die Wahrheits-Frage den Kopf zerbricht? Ich meine: Das Gegenteil trifft zu! Ich lese die „Frage“ eher so: „Pah, Wahrheit! Was ist denn schon Wahrheit!?“ Das ist vielleicht auch der Grund, warum Jesus diese Frage nicht beantwortet, obwohl er im Johannes-Evangelium sonst viel über die Wahrheit sagt: Mit einem wie Pilatus über „Wahrheit“ zu sprechen, das ist Perlen vor die Säue werfen.
Nein, worum es Pilatus geht, ist nicht die Wahrheit, sondern der Begriff „König“. Denn damit ist die Macht Roms und auch seine eigene Macht hier in Palästina bedroht.
Der merkwürdige Angeklagte Jesus aber redet von einem Königtum ganz anderer Art. Der ist offenkundig nicht ganz von dieser Welt, als er auf die „Wahrheit“ zu sprechen kommt. Und da weder der Angeklagte selbst noch die Ankläger konkrete Verbrechen, Umstürze und dergleichen zu bieten haben, ist für Pilatus der Fall schnell erledigt. Denn dieser Römer, der ist ganz und gar von dieser Welt.
Dass Pilatus sich dann noch ein bisschen für den Angeklagten einsetzt, wirkt auf mich zynisch. Vielleicht ist aber auch wirklich so eine Spur Mitleid mit „diesem armen Irren“ im Spiel. Zum Tode verurteilt hat er ihn dann doch. Kurz: Pilatus, der Pragmatiker des Herrschens. Der Macht-Mensch. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Ein bisschen schade, aber letztlich nicht tragisch für ihn.
Und Sie und ich? Ich will nicht so sein wie die führenden Priester und nicht wie Pilatus. Und da ist die Verlockung groß, mir einzureden, dass es aber auch nichts Gemeinsames mit denen gibt, getreu dem Motto: „Was nicht sein darf, das nicht sein kann!“ Nur: Nicht alle Probleme werden dadurch kleiner, dass man sie beharrlich ignoriert.
Also: Ich und die führenden Priester. Wo habe ich vielleicht eine hohe Moral und obendrein eine Frömmigkeit, mit der ich Eindruck schinde – vor mir, vor anderen und, wie ich mir dann einbilde, vor Gott? Wo muss alles korrekt und sauber laufen – und auf der anderen Seite ist mir herzlich egal, was mit anderen passiert, was ich mit anderen mache, weil es vielleicht meiner Bequemlichkeit dient oder meinem Ansehen, meinem Einfluss? Will ich denn wissen, wie das Tier gelebt hat, das auf meinem Teller liegt? Welche Kinderhände die Steine für den Garten behauen haben?
Und: Ich und Pilatus. Wo bin ich so ganz und gar von dieser Welt? Wo kommt es mir allein darauf an, dass es gut weiterläuft – so, wie es immer war oder wie es mir gut passt? Könnte es sein, dass dieses so ganz andere Königreich des Jesus Christus und seine Wahrheit mich speziell am Sonntag interessiert, und ab Montag herrschen ganz andere Regeln, Sachzwänge, Mächte?
Christus, wie er so herumgeschoben wird zwischen den Priestern und Pilatus, er ist allein. Der Platz seiner Jünger, damals und heute, er sollte an seiner Seite sein. Und an der Seite derer, die Christus seine „geringsten Brüder und Schwestern“ nennt. Oder um es mit Dietrich Bonhoeffer zu sagen: „Christen stehen bei Gott in seinem Leide.“
Gebet:
Christus, ob auf die fromme oder auf die weltliche Tour: So oft habe ich Dich schon beiseite geschoben und Dich verraten.
Danke, dass Du mich nicht aufgibst, so wie Du Petrus neu anfangen ließest, und wie Du sogar noch mit den Priestern und Pilatus geredet hast.
Und wenn ich weit weg von Dir bin, da hole Du mich wieder zu Dir! Amen.
Dirk Klute