Sich dienen lassen (Andacht für Oktober)

Bonhoeffer, Christen und Heiden

Kennen Sie einen richtigen „Diener“, eine richtige „Dienerin“? Wahrscheinlich nicht. Dabei ist der Begriff weit verbreitet: Beim Bäcker werden Sie be-dient, die Krankenschwester muss zum Früh-Dienst – und zwar nicht nur aus Freude an der Arbeit, sondern auch, um Geld  zuver-dienen. „Minister“ ist lateinisch und bedeutet: Diener. Wer sich verbeugt, macht einen Diener.

Aber fühlen sich die genannten Leute deswegen als Dienerin, als Diener? Hoffentlich nicht, finde ich. Es wäre verkehrt, wenn der eine immer der Diener und der anderer immer der Herr ist. Ich finde es besser, wenn Menschen sich meistens in die Augen schauen können, und zwar nicht von oben herab oder von unten hinauf, sondern „auf gleicher Ebene“.
Trotzdem steht bei den Christen das Dienen hoch im Kurs. Und zwar nicht nur wegen des Gottes-Dienstes, sondern weil Jesus selbst gesagt hat:

Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht. Sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein. Und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Markus 10, 42 ff.)

Jesus, der „Menschensohn“. Der Herr, er dient. Nicht nur als großmütige Geste, sondern er gibt sein Leben her. Aber es geht auch umgekehrt: Jesus lässt sich dienen. Dies ausgerechnet zu Beginn seiner Leidens-Zeit Jesu bis zu seinem Tod.

Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Dort machten sie ihm ein Mahl und Marta diente ihm (…)

Marta diente ihm. Ein Satz am Rande, man überliest ihn leicht. Essen machen und servieren. Auch solch einen Dienst selbst übersieht man leicht, wenn man (Mann?) nicht persönlich öfter mal in der Küche steht. Bibelleser/innen kennen Marta aus einer früheren Geschichte ohnehin schon so: Als Jesus die beiden Schwestern Maria und Marta einmal besuchte, machte sich Marta „sich viel zu schaffen, ihm zu dienen“ (Lukas 10, 40).
Und Maria, ihre Schwester? Jetzt dient Maria Jesus auch. Aber nicht mit Liebe, die durch den Magen geht, sondern mit einer Liebe, die Körper und Seele berührt:

Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße. Das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls.

All das ohne ein einziges Wort. Es geht nichts durch die Ohren. Aber es geht mitten ins Herz. Und der Duft erfüllt den Raum.
Das alles ist so dicht, so intensiv, dass es die anderen provoziert. Der Evangelist Johannes schiebt etwas einseitig, wie mir scheint, die Skepsis der Leute dem bösen Judas in die Schuhe:

Da sprach einer seiner Jünger, Judas Iskariot, der ihn hernach verriet: Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war.

Ich unterstelle Judas und den anderen, die Marias Liebes-Dienst kritisieren, ehrenwertere Motive: Sie nehmen Jesu Wort „Seid aller (Leute) Knecht!“ ernst, es geht ihnen wirklich um die Armen. Sehr christlich! Gute Schüler ihres Meisters! Aber Jesus nimmt Maria vor so viel Christlichkeit in Schutz:

Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch. Mich aber habt ihr nicht allezeit! (Alles: Johannes 12, 1 ff.)

Jesus hat hier vor Augen, was all die anderen nicht sehen oder nicht sehen wollen: Er spricht vom „Tag des Begräbnisses“, er weiß oder ahnt, was ihm bevorsteht in den kommenden Tagen. Vielleicht spürt Maria es auch. Sie merkt, was Jesus jetzt braucht. Sie steht ihm bei in seiner Not, sie gibt ihm die Nähe, die ihn jetzt stärkt.

Was geht Sie das alles an? Wo kommen Sie in dieser Geschichte vor?

  • Wenn Sie bei ungeschönter Selbstprüfung feststellen, dass Ihre Welt sich meistens um Sie und Ihre eigenen Interessen dreht, und dass Sie sich ohne wirkliche Not ziemlich viel bedienen lassen, dann lernen Sie von Jesus das Dienen: den anderen sehen, dem anderen beistehen. Einzig und allein, damit diesem anderen geholfen ist,  damit es ihm gut tut und gut geht. Sogar damit dienen Sie noch indirekt nicht selbst: Es befreit Sie aus dem Gefängnis egomanischer Selbstbefangenheit.
  • Wenn Sie aber umgekehrt immer nur die Not der anderen sehen oder immer nur die Wünsche und Forderungen der anderen hören, dann lernen Sie von Jesus, sich dienen zu lassen: Gewinnen Sie den Mut, die eigene Not überhaupt mal zu sehen und zu spüren, sie (und sich selbst) ernst und wichtig zu nehmen! Verstecken Sie sich damit nicht! Seien Sie bereit, anderen Menschen Mühe zu machen, anderen „zur Last zu fallen!“ Sogar damit dienen Sie noch indirekt den anderen: Ihre Not und Ihre schwache Seite mit-zu-teilen, das ist eine kostbare Gabe des Vertrauens.

Kurz und knapp: Hier zwei Fragen, zu denen Sie sich eine Antwort überlegen können:

  • Wem kann ich heute in seiner / ihrer Not einen guten Dienst erweisen?
  • Was ist meine Not, für die ich heute oder in den nächsten Tagen die Zeit, das Verständnis, die Kraft eines anderen Menschen bemühen möchte und bemühen werde?

Jesus ruft Sie und mich dazu auf, ihm nachzufolgen – im Dienen wie im Sich-dienen-Lassen.

Gebet:

Christus, Du dienst mir – mit Deinem ganzen Leben, mit Deinem Leidensweg, mit Deinem Tod. Ich danke Dir! Amen.