Bonhoeffer, Christen und Heiden
Schmerzen sind nicht gleich Schmerzen, und Sterben ist nicht gleich Sterben. Es ist ein Unterschied, ob ich Menschen um mich habe, die mich darin begleiten und mich mit meinem Leiden aushalten. Und die zur rechten Zeit auch meinen Wunsch nach Abstand respektieren. Oder aber, ob meine „Mit“-Menschen mich im Stich lassen, sich über mich lustig machen, mich verspotten.
Die sechs Stunden Jesu am Kreuz sind eine fürchterliche Tortur – und es sind Stunden der Spötter:
Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!
Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. (Matth. 27, 35-44)
Die Leute in dieser Szene verspotten Jesus auf unterschiedliche Weisen. Ich will mir das mit Ihnen näher ansehen, auch wenn das nicht schön ist. Also: Wer verspottet Jesus wie?
- Da sind die römischen FOLTERKNECHTE. Nachdem sie vorher schon Jesus mit Purpurmantel und Dornenkrone verspottet haben, schlagen sie ihn ihn ans Kreuz. Und nun? Sie sitzen da und bewachen. Gelangweilt wirken sie. Sie verteilen und verlosen die Kleidung des Delinquenten. Direkt zu seinen Füßen, der da oben nackt und blutend hängt, der Öffentlichkeit zur Schau gestellt.
Und dann noch ein spezieller Scherz. Das Schild: „der Juden König“. Jesus als „König“, das gibt es im Matthäus-Evangelium fast nur im Munde von Nicht-Juden: Gleich nach Jesu Geburt suchen die Weisen aus dem Morgenland den König der Juden, und sie meinen es ernst damit. Später im Prozess gegen Jesus sagt es der Römer Pilatus, und es ist Spott in seinem Mund. Dann die „Huldigungen“ der römischen Folterknechte an den „König der Juden“ mit Purpurmantel und Dornenkrone. Und jetzt eben dieses Schild. Der König hängt hier. Bei Johannes lesen wir: Pilatus selbst hat es in Auftrag gegeben. Da schwingt mit: Wir, die Römer, WIR sind hier die Chefs. Andere „Könige“ enden wenig königlich am Kreuz.
- Dann die Vorübergehenden, oder als Fremdwort: die PASSANTEN. „Hilf dir selbst, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!“ Einen solchen „Passanten“ hat es schon früher gegeben, damals, als Jesusu allein in der Wüste war. Dieser Passant sagte zu Jesus: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann mach doch aus Steinen Brot! Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürz’ dich doch vom Felsen und lass dich von Engeln tragen!“ Das war der Teufel. Und so eine Vorstellung hat der Teufel und haben die Otto-Normal-Passanten vom Sohn Gottes: der kann alles und macht es sich immer passend, den kann man mit offenem Munde anstaunen bei seinen Zauberkunststücken. Aber jetzt, wo Jesus blutend am Kreuz hängt, da traut ihm das keiner mehr zu. Für die Römer ein lächerlicher „König“, für die Passanten ein lächerlicher „Gottessohn“.
- Dann die Hohenpriester, Schriftgelehrten, Ältesten. Nenne ich sie die „Theologen“? Nein, denn zu ihrer Theologie kommt ja noch eine Macht-Position hinzu. Deshalb: der KLERUS. Kluge Leute – da fällt ihr Spott etwas differenzierter aus. Den „König von Israel“ übernehmen sie als Spott-Titel von den Römern, die Allmachts-Idee mit dem Vom-Kreuz-Steigen übernehmen sie von den Passanten. Aber sie haben auch zwei ganz eigene Spottpunkte: Jesus, der Helfer, der Gut-Mensch. – „Pah! Der kann sich ja nicht mal selbst helfen!“ Und dann: „Er hat Gott vertraut!“ – Da ist der Klerus ehrlicher, als ihm wohl lieb ist, das ist ihm so rausgerutscht mit dem Spott für Gott-Vertrauen. Aber der Schwerpunkt des Spottes liegt ja woanders – im „Beweis“ nämlich, warum Jesus ein Lump sein muss: „Hätte Gott Gefallen an Jesus, dann würde er ihn erlösen! Dann wäre Jesus das nicht passiert!“ Das ist trickreich: Die Geistlichkeit, die Jesus ans römische Messer liefert, „beweist“ so, dass ihr Opfer gottlos ist und sie als Täter treu auf Gottes Seite stehen.
Dabei unterläuft ihnen allerdings ein kleiner Fehler: „… er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn!“ Das hat Jesus aber im gesamten Matthäus-Evangelium (ebenso bei Markus und Lukas) nie selbst im Mund geführt. Der Teufel sagt es, die Dämonen sagen es, die Jünger sagen es nach einer aufregenden Bootsfahrt, Petrus sagt es sehr bewusst (und Jesus stimmt ihm zu), der Klerus fragt Jesus im Prozess danach. Und Jesus? Der antwortet: „Du sagst es!“ Das kann man auch als „Das sagst DU!“ lesen. Jesus IST es, aber er haut diesen Begriff nicht inflationär raus. Das ist etwas Heiliges. Manchmal ist es besser, scheu um etwas herum zu reden. Auch gegen Missverständnisse.
- Zum Schluss die RÄUBER, die links und rechts von ihm hängen und Jesu Schicksal teilen. (Dass einer sich für Jesus einsetzt, weiß der Evangelist Lukas). Sie schließen sich dem Spott der anderen an. WAS sie genau sagen, ist gar nicht so wichtig, aber WER es sagt, das schon: Es sind Menschen, die dasselbe durchleiden, voller Schmerzen, verspottet, entehrt. Am Ende ihrer Lebens-Hoffnungen bleibt ihnen nur der Zynismus. Ob es in so einer Situation irgendwie hilft, auf anderen herumzutreten? Vielleicht bietet sich dafür ja so richtig jemand an, auf den viele Menschen ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Einer, der den Leuten mit Gott gekommen ist. Einer, der es immer gut meinte. Und an dem man jetzt sieht: „Das hat ihm auch nichts genutzt!“
Ich finde, der Blick auf die Spötter lohnt sich, weil sie durch ihren Spott verraten, an was für eine Art Gott sie glauben – oder glauben würden. Und welche „Bedingungen“ sie einem Messias stellen würden, damit sie sich an ihn halten, zu ihm zu gehören …
- Die FOLTERKNECHTE haben schon ihren Gott. Das ist ihr Kaiser in Rom. Und der hat einen Stellvertreter vor Ort, ihr Vorgesetzter Pontius Pilatus. Ihr Gott ist, wer gerade die Macht hat. Da sind sie zutiefst loyal. Mitgefühl? Fehlanzeige. Es ist noch nicht mal Hass. Eher Gleichgültigkeit, Routine. Ein bisschen Spaß haben im tristen Job. Und wenn es dann noch ein paar Sachen abzustauben gibt, umso besser. Die Folterknechte richten ihr Fähnchen nach dem Wind. So kann im Prinzip mal dieser, mal jener ihr Gott sein. Ganz danach, wer gerade das Sagen hat.
- Die PASSANTEN, sie könnten einen Messias akzeptieren, der sich machtvoll beweist. Der alle Unannehmlichkeiten aus der Welt räumt. Zu dem man staunend aufsehen kann – bei dem, was der alles bewirkt. Ideal wäre so ein richtiger Wundermann.
- Beim KLERUS ist eines ziemlich klar: Ein Gott der Leidenden und der Hilfebedürftigen, das ist der verkehrte. Ihr Gott steht auf der Seite der Erfolgreichen. Wer scheitert, zu dem kann Gott unmöglich gehalten haben. Aber ich bin ich mir gar nicht so sicher, ob sie sich ÜBERHAUPT in aller Demut einem Gott unterwerfen würden. Sie wirken auf mich so, als ob sie vor lauter Selbstverliebtheit, Bildung, Urteilsfähigkeit und Amtswürde kaum laufen können.
- Und die RÄUBER? Kein Hinweis, auf welchen Gott oder Messias sie ihre Hoffnung setzen würden. Denn: Sie haben alle ihre Hoffnung verloren. Der Glaube ist jetzt nur noch das Feindbild, auf das sie ihren Schmerz und ihren grenzenlosen Hass werfen können. Und da bietet sich ihr frommer Leidensgenosse Jesus an. Ihr Hass-Abladeplatz für die letzen Atemzüge ihres Lebens.
Und Jesus? Da hängt er nun zwischen Himmel und Erde mit seinen Schmerzen und dem nahenden Tod, ist Zielscheibe des Spottes. Gott zeigt sich in Jesus ohnmächtig, stellt sich auf die Seite der Leidenden, der Verspotteten, der Sterblichen. Am Kreuz durchkreuzt Gott die religiösen Phantasien und Gottesbilder, wie sie nicht nur Macht-Menschen, Alltags-Menschen, Klerus und verbitterte Leidende in sich tragen, sondern machmal wohl auch Sie und ich.
Mein Vorschlag: Ein bisschen weniger Besserwisserei, ein bisschen weniger Überheblichkeit. Sich still und demütig unter’s Kreuz stellen. Zu Christus aufblicken – und in ihm Gott erkennen.
Gebet (aus EG 556):
Dirk Klute