Trost (Andacht für September)

Brauchen Sie ihn, den Trost? Hoffentlich können Sie jetzt spontan „Nein!“ sagen. Weil es Ihnen nämlich rundum gut geht. Dann: Gratulation!
Oder Sie sagen z.B. „Nein!“, weil Sie voller Wut sind. – Wobei: Es könnte trotzdem sein, dass Sie mit Ihrer Wut Trost brauchen. Wenn nämlich unter der Wut Traurigkeit und Hilflosigkeit versteckt sind. Nur: Die mögen Sie nicht sehen, denn die tun so weh. Da halten Sie sich lieber an der Wut fest. Oder Sie kommen von einer Dreitagestour aus der heißen Wüste zurück. Dann sagen Sie: „Ich brauche keinen Trost, ich brauche Wasser!“ Oder es geht Ihnen über Jahr und Tag gleichbleibend „so ganz gut“. Klingt dann so, als würden Sie sich und anderen etwas vormachen. Dann brauchen Sie Trost, obwohl Sie nicht danach aussehen.

Und dann noch der umgekehrte Fall: Ich selbst meine, ich bräuchte mehr Trost, Verständnis, Streicheleinheiten – aber „eigentlich“ wäre es besser, mir würde mal jemand ordentlich den Kopf waschen, mich schütteln, statt mir mein übertriebenes Selbstmitleid durchgehen zu lassen.

Wer braucht Trost? Wer traurig ist. Wer weint. Wer verletzt und voller Seelenschmerz ist. Wer etwas oder jemanden Wichtiges verloren hat. Wem ein Ziel seiner Sehnsucht zerplatzt ist. Wem es noch heute weh tut, was ihm früher so fehlte. Kurz & knapp: Trost braucht, wem etwas fehlt.
Fast jeder braucht Trost. Manche nur manchmal und ein bisschen. Und andere ganz, ganz viel.

Wie gesagt: Gratulation, wenn Sie momentan wirklich keinen brauchen. Aber heben Sie ruhig mal Ihre äußeren Schalen und obenliegenden Gefühle an und gucken Sie drunter! Denn: Es tröstet kein bisschen, wenn Sie sich bloß einreden, Sie bräuchten keinen Trost.
Was tröstet? Auf die Dauer wenig hilfreich sind Alkohol und all das andere, worauf sich die (Sehn-)Sucht schnell stürzt. Ich bin auch skeptisch bei „Tost“-Sätzen wie:
„Ach, das kenne ich auch!“; „Nun reiß’ Dich mal zusammen!“; „Das ist doch nicht so schlimm!“; „Was uns nicht umbringt, macht uns nur hart!“; „Die Zeit heilt alle Wunden!“; „Das hat schon alles einen Sinn!“

Trostsätze, die eher die Tröster als die Trost-Bedürftigen trösten. Ich finde: Manchmal sollte sich die Zunge mit ihren vielen Wörtern zurückhalten. Stattdessen: Die Hände!  Die können umarmen, einem den Rücken stärken, einen halten, einen streicheln. Deshalb gefällt mir der gleich folgende Trost-Abschnitt aus dem Hiob-Buch so gut …

Was bisher geschah: Der weise, wohlhabende, gottesfürchtige Hiob ist glücklich mit seiner Familie, den wohlgeratenen Kindern, dem beruflichen Erfolg. Dann verliert er innerhalb kürzester Zeit so ziemlich alles: Zunächst auf grausige Art sein Personal und seinen kompletten Vieh-Wohlstand, dann seine erwachsenen Kinder. Dann seine Gesundheit: „böse Geschwüre von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel, Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche“ (Hiob 2, 7-8).
Hiobs Frau bleibt ihm zwar, aber sie versteht ihn nicht. Streit. Sie stehen halt beide unter Druck. Was Hiob noch geblieben ist: seine Freunde. Die sind international verstreut.

Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie waren eins geworden hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (Hiob 2, 11-13)

Ich finde: Bis hierher sind Elifas, Bildad und Zofar ziemlich tolle Freunde und gute Tröster.
Besonders professionell sind sie dabei allerdings nicht. Stellen Sie sich mal vor, Sie gehen zum Arzt. Und der setzt sich dicht neben Sie und fängt bei Ihrem Bericht plötzlich an, zu weinen und laut zu klagen. Außerdem würde seine Praxis pleite gehen, wenn er sich sieben Tage und Nächte zu Ihnen setzen würde.

Nein, ein professioneller Helfer oder Tröster hat meist mehr Distanz zu Ihrem Leid. Dafür strahlt er mehr Sicherheit aus, bleibt handlungsfähig und kann konkret etwas unternehmen. Profis können manches, was Freunde nicht gut können. Und Freunde können etwas, was meist die Profis nicht können. Und Eliphas, Bildad und Zofar? Die sind keine Profis, sondern Freunde. Gut so! Denn im Falle Hiob können die Profis nichts mehr machen. Austherapiert. Hoffnungsloser Fall.
Was tröstet? Ich greife auf die Stichwörter zurück, die ich oben fett markiert habe:

  • Sie hören von Hiobs Unglück. Sie sind nicht solche Leute, die täglich tausend Sachen hören, und wo einem ein „Freund“ schon mal durchgehen kann. Sie hören auch nicht schnell weg, wo es um Unglück geht und wo sie vielleicht selbst gefordert sein könnten.
  • Jeder aus seinem Ort. Sie verlassen nicht nur ihren „Alltag“ und enttäuschen dort vielleicht ihre Leute, sie verlassen auch ihren „Standpunkt“, ihre Sicht „von außen“.
  • Sie sind eins geworden, also: Sie haben sich abgesprochen. Sie wurschteln nicht einfach jeder für sich vor sich hin.
  • Hingehen – und nicht warten, bis Hiob sich meldet und sich selbst her traut.
  • Beklagen und Trösten: Es heißt NICHT: „schön reden und ver-trösten“!
  • Die Stimme erheben und weinen: Das ist Mit-Leid im besten Sinne des Wortes. Die Freunde lassen sich Hiobs Leid zu Herzen gehen. Ob ein bisschen mehr Distanz gut gewesen wäre? Hier wohl nicht: Sie geben dem verstummten Hiob eine Stimme. Und sie weinen seine Tränen, wo er wohl längst schon keine mehr hat.
  • Die Kleider zerreißen, Staub auf’s Haupt, mit Hiob auf der Erde sitzen: Lauter Gesten, mit denen sich die Freunde sein Elend zueigen machen – und ihm Ausdruck geben. Das Gegenteil von billigem Trost! Denn die Botschaft lautet: „Ja, es ist wirklich schlimm, und wir leiden mit Dir!“ Das ist schon was – so mit jemandem auf Augenhöhe zu bleiben, wenn der ganz unten ist, im Dreck sitzt.
  • Sieben Tage und sieben Nächte: Es steht nirgends, dass die Freunde Zeit haben. Aber sie nehmen sie sich. Jedenfalls eine Woche.
  • Sie redeten nichts. Warum nicht? „Sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ Schlechte Tröster kommen hier mit ihren Trost-Sprüchlein – weil der Anblick so schwer auszuhalten ist. Wer viele Worte macht, muss nicht mehr hingucken, muss das Elend nicht aushalten.

Wenn Sie das als ein Mensch lesen, der Trost braucht, macht Ihnen das vielleicht ein komisches Gefühl, denn solche Freunde haben Sie nicht. Und wenn Sie es als Tröster lesen, dann vielleicht auch: Hinter so einer Vorlage bleiben Sie deutlich zurück.

Ein Ideal halt. Ich kann mich meist nicht so total in das Leid anderer hinein begeben. Und ich habe kaum mal sieben Tage und Nächte Zeit. (Übrigens: Ganz so toll bleiben Hiobs Freunde in den 40 Folgekapiteln des Buches nicht – das Ihnen und mir zum Trost.)

Gut, wenn ich als Tröster meine Grenzen kenne und sie achte. Um anderen nicht zu versprechen, was ich nicht halten kann. Und als Trostbedürftiger ist es gut zu wissen: Wer kann mir was geben? Und was nicht? Unersättlichkeit macht viel kaputt.

Und Gott? Gott als Tröster? Vielleicht sagen Sie: „Na, der schweigt mir aber ein bisschen viel. Und der nimmt mich nie in den Arm!“ Oder Sie sagen: „Gottes Schweigen tut mir gut, weil er mich dann hört! Und wenn Gott mich anredet, dann erreicht er mein Herz. Dann fühle ich mich umfangen und gehalten von Gott!“

Vielleicht mal so, mal so. Ich persönlich finde: Gottes Trost erreicht mich vor allem, wenn ich auf Jesus blicke. Auch in seinen lebendigen Worten und in seinem heilsamen Tun. Aber vor allem im Blick auf Jesus am Kreuz: Da setzt sich Gott sozusagen noch viel unmittelbarer als Hiobs Freunde zu mir in den Staub, stirbt meinen Tod und hält mich – bis ins Leben.

Gebet (nach Psalm 73, angelehnt an die Neue Genfer Übersetzung):

Wenn auch meine Kräfte schwinden und mein Körper mehr und mehr verfällt, so gibst doch Du, Gott, meiner Seele Halt. Du bist alles, was ich brauche – und das für immer! Für mich ist Deine Nähe beglückend! Mein Vertrauen setze ich auf Dich! Alle deine Taten will ich weitererzählen!

Dirk Klute