„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Andacht für März)

Apg 7

Worte am Kreuz. Was sagt denn einer, der gequält, gefoltert, festgenagelt, verspottet wird? Sie können das wahrscheinlich nicht wissen, Sie haben das – jedenfalls so – noch nicht erlebt. Aber vielleicht haben Sie Erfahrungen gemacht, die in diese Richtung gehen: körperliche Qualen, Seelenschmerzen, verlassen sein (oder sich verlassen fühlen), verspottet werden, den Tod vor Augen. Was haben Sie da gesagt? Oder: Was hätten Sie gesagt?

Es könnte einem die Sprache verschlagen. – Und fast genau so finden wir es bei Markus, dem Verfasser des ältesten Evangeliums. Als Jesus in seinem Prozess vor Pontius Pilatus steht, spricht er dort zum letzten Mal zu einem Menschen. Danach, bei den Folter- und Spott-Tiraden: Kein Wort. Dann am Kreuz: Kein Wort zu einem anderen Menschen. Nur Schreie. Und eben: Ein Schrei zu Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
So steht es auch bei Matthäus. Aber im Lukas-Evangelium und bei Johannes ist es anders. Da finden Sie mehrere Jesus-Worte. Nur eben nicht diesen Verlassenheits-Schrei zu Gott.

Heute: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ aus Lukas 23. Sie kennen das Zitat. Und sei es durch den James Dean-Film. Die Sache hat allerdings einen Haken: In den frühestens und verlässlichsten Handschriften taucht dieses Wort noch nicht auf. Es ist scheint’s erst später im Lukas-Evangelium ergänzt worden. Da hat sich wohl jemand gedacht: „So hat Jesus sicher gebetet, wo er doch den Leuten die Feindesliebe so ans Herz gelegt hat!“ Ja, das passt zu Jesus. Er hatte es früher so gesagt:

Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen! (Matthäus 5, 44)

Vielleicht sträubt sich da bei Ihnen nun gehörig viel – bei dieser Vorstellung, wie Jesus in höchster Not seinen Peinigern vergibt. Vielleicht denken Sie daran, was andere in Ihrem Leben zerstört und verbrochen haben. – Und nun tut Jesus etwas, was Sie schon so lange nicht hinbekommen haben – und vielleicht auch gar nicht wollen. Oder es sträubt sich was, weil Ihnen das zu süßlich-heilig ist: Die duldsamen Christen, die sich – zumindest nach ihren Sprüchen – alles gefallen lassen, nicht aufmucken und immer schön alles vergeben. Und anschließend womöglich hinten rum dann doch so was von nachtragend sind …

Jedoch: Ob Jesu Vorbild Sie nun klein macht oder ob Sie es ärgerlich finden – in beiden Fällen sind Sie zu flott. Denn: Jesus vergibt am Kreuz seinen Peiniger NICHT. Selbst wenn dieses Kreuzes-Wort der O-Ton von Jesus sein sollte. Jesus sagt NICHT:

  • „Ihr Mörder und Folterknechte, ich habe euch vergeben!“
  • „Leute, ihr könnt ruhig weitermachen mit diesem abscheulichen Verbrechen, denn ich werde euch vergeben!“
  • „Mir geht das gerade so nahe, dass ihr mit eurer Schuld leben müsst, deswegen vergebe ich euch jetzt mal lieber!“
  • „Verletzungen hin, Demütigungen her – ich habe trotzdem die innere Stärke, euch zu vergeben!“
  • „Was ein guter Christ sein will, der muss immer vergeben. Und dann der Christus erst recht – also bitteschön!“

Nein, all das NICHT. Es steht nichts davon da, dass Jesus den Tätern vergibt. Nichts von einem Vergebungs-Abo für die Zukunft. Nichts von Mitgefühl oder Mitleid mit den Tätern. Nichts von der inneren Stärke oder Bereitschaft zu vergeben. Nichts von einem moralischen Zwang zu vergeben.

Sondern: Jesus betet. Er überlässt es dem himmlischen Vater zu vergeben. Damit überträgt er an den Vater im Himmel, was er selbst in dieser Situation und in seiner Verfassung – möglicherweise – nicht kann. Jesus betet – und folgt damit seinem eigenen Rat: „Bittet für die, die euch verfolgen!“

Und was, wenn Jesus folgendermaßen gebetet hätte? – „Vater, sorge dafür, dass diesen Unmenschen, diesen Bestien dasselbe erleben, was sie mir gerade antun!“ Das würde nicht gut zu Jesus passen, und es gibt auch keinen Hinweis, dass Jesus so gebetet hat.

Ich meine aber: Auch so ein Gebet wäre legitim. Es gibt reichlich Beispiele dafür im Buch der Psalmen: Leute, denen Schlimmes angetan wird, und die nun ihre ganzen Wünsche nach Rache vor Gott bringen. Und ob es nun das Rache-Gebet ist oder die Bitte um Gottes Vergebung für die Übeltäter, es gibt eine Grund-Gemeinsamkeit: Es sind Gebete. Da bringen Menschen ihre Not vor Gott und auch ihre Not mit den Tätern. Und damit tun sie vor allem sich selbst etwas Gutes: Sie halten sich ihre Täter so ein bisschen vom Hals. Oder genauer: von der Seele. Jesus mit seiner Vergebungsbitte und der Psalmbeter XY mit der Rache, sie bringen beide (auf unterschiedliche Weise) „ihre“ Täter vor Gott – und damit weg von sich selbst.

Ich meine allerdings: Falls Sie die innere Freiheit haben zu wählen, wird die Vergebungs-Bitte Ihnen mehr dienen als der Rache-Wunsch. Denn Rache-Wünsche binden Sie an den Täter, und das wird Ihnen nicht gut tun, jedenfalls nicht auf die Dauer.

 „Denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Stimmt das? Wissen Jesu Folterknechte nicht, was sie tun? Kann man tatsächlich so mechanisch, gefühl- und gedankenlos verletzen und quälen? Das mag ja noch „klappen“ mit der Unwissenheit, wo ich es als Käufer verschulde, dass weit weg Menschen oder Tiere gequält werden – ich muss mir das Elend ja schließlich nicht angucken. Aber da, wo ich durch mein Tun oder durch meine Worte gezielt verletzte? Ich glaube, das braucht schon eine Menge Verdrängungs-Aufwand, Selbst-„Entschuldigungen“, Verharmlosen, Ausreden, um dann immer noch nicht zu „wissen“, was ich da eigentlich tue.

Selbst „Täter“ sein? Ach nein, das kriegen wir klein geredet, da identifizieren wir uns lieber mit den „Opfern“, fühlen uns ihnen besonders nahe, auch bei der Kreuzigungsgeschichte: Sie werden sich da Jesus näher fühlen als dem Soldat XY aus dem Hinrichtungskommando.

Aber gerade für mich als „Täter“ hat dieses Kreuz-Wort Jesu etwas zu sagen: Denn genau da, wo ich aus meinem Nicht-Wissen-Wollen heraustrete, nicht mehr an meinen eigenen Ausreden und flott-flachen „Entschuldigungen“ klebe und ehrlich anerkenne: „Da habe ich tief und absichtlich oder leichtfertig jemanden verletzt!“, genau da kann ich auch erfassen: Jesu Gebet, es gilt auch mir: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Und, um das Lukas-Evangelium noch ein weiteres Mal zu ergänzen: „Vater vergib ihm, obwohl er wissen konnte, was er tat!“

Gebet:

Christus, Du Mensch am Kreuz, Du Gott am Kreuz. Ob ich es wissen will, spüren kann oder nicht: Du bist an meiner Seite in meiner Not. Und ob ich es zulassen kann oder nicht: Du bist sogar an meiner Seite in meiner Schuld – und trittst für mich ein. Danke!

Dirk Klute