Wann fällt der Groschen? (Andacht für Mai)

Zwei Jünger gingen …

Ostern – dass Christus auferstanden ist, das ist das eine. Das andere ist: Dass bei seinen Jüngerinnen und Jüngern dann auch der Groschen fällt, dass das ankommt im Kopf, im Herzen, in den Beinen, in den Händen und auf den Lippen. Mein Thema heute: Wann fällt der Groschen, was diese zwei Wörtchen angeht: „Jesus lebt!“?

Dazu eine Geschichte, die so bekannt ist, das Sie, falls Sie zu den Bibelkenner/innen gehören, vielleicht müde abzuwinken. Obwohl es in der Geschichte doch um zwei Leute geht, die am Ende gerade nicht müde, sondern richtig munter werden. Hier alles unter dem Gesichtspunkt: Wann fällt bei den beiden der Groschen? Oder: Was trägt dazu bei, dass er fällt?

Der Groschen soll fallen – die beiden Hauptakteure können genau das nicht mehr: fallen. Sie sind nämlich schon total am Boden: Jesus ist tot. Vorgestern hingerichtet. Und mit Jesus sind auch ihre Hoffnungen gestorben. Was jetzt? Nur weg von Jerusalem, dem Ort des Schreckens! Zwei Stunden dauert der Weg nach Emmaus, da wollen sie hin.
Da gesellt sich auf dem Weg ein Fremder zu ihnen. Wir Leser/innen erfahren es sofort: Es ist Christus selbst! Aber die Beiden erkennen ihn kein bisschen – „ihre Augen wurden gehalten“. Ich kann mir das bildlich vorstellen: der gesenkte Blick. Für sie ist der Fremde einfach nur einer, der keine Ahnung hat.

Also: Das Allererste, das absolut Notwendige, dass der Groschen später fällt, ist: Christus selbst! Er sucht die Nähe, den Kontakt zu seinen Leuten.

Bei den Beiden finden wir aber auch etwas wichtiges: ein Minimum an Offenheit. Sie hätten ja vor lauter Trauer und Verzweiflung völlig dicht machen können. Aber nein, sie lassen sich immerhin auf ein Gespräch mit dem Fremden ein. Kommen ins Reden. Erzählen ihm, was passiert ist.
Und nun zeigt sich, dass der Fremde gar nicht so ahnungslos ist. Die Drei fangen an, über die uralten Messias-Hoffnungen Israels zu sprechen, und der Fremde entfaltet eine merkwürdige Sicht: Dass das alles so sein sollte, dass gerade das Leiden und der Tod dazu gehörten. Erst viel später, im Rückblick, werden die beiden Jünger erkennen, was dieses Gespräch mit ihnen macht:

„Brannte es nicht wie Feuer in unseren Herzen, als er unterwegs mit uns sprach und uns den Sinn der Heiligen Schriften aufschloss?“

Aha. Ein Bibelgespräch. – Und das Herz steht in Flammen. Das ist gut. Und keineswegs selten. Vielleicht wäre schon etwas eher der Groschen gefallen, wenn die Beiden sich sofort ihrem Herzen zugewandt hätten, darauf geachtet hätten, wie es ihnen um’s Herz ist.
Abends kommen sie am Zielort Emmaus an. Der Fremde will weitergehen. Also „Tschüss und alles Gute!“? Nein! Die beiden Jünger laden den Fremden ein:

„Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt!“

Wieso laden die Jünger den Fremden ein? Bis vor ein paar Tagen hatte ich immer gedacht: „Na ja, der Fremde ist ihnen auf dem gemeinsamen Weg so wichtig geworden, dass sie ihn nicht einfach ziehen lassen wollten!“ Selbst-Sorge also. Mag sein. Aber dann habe ich – beim Bibelgespräch – eine andere Deutung bekommen: Es ist Fürsorge für den Fremden. Sie wollten ihn nicht auf unbeleuchteten Wegen einfach in die Dunkelheit laufen lassen.
Beide Deutungen könnten sich auch ergänzen. Und beide haben etwas mit „Verbundenheit“ zu tun: Der Fremde ist den Beiden so verbunden, dass er gut aufgehoben sein soll (Fürsorge). Und er ist ihnen so wichtig, dass sie ihn gern bei sich haben (Selbst-Sorge). Vielleicht ist das ein kühner Schluss, aber ich sage es trotzdem: Wer sich nicht zu sehr in sich verschließt, wem andere Menschen in Fürsorge und Selbst-Sorge wichtig sind, der hat bessere Chancen, dass bei ihm der Groschen im Blick auf den lebendigen Christus fällt.

So, und nun die Schlüssel-Szene: Der Groschen fällt …

Als er dann mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, sprach das Segensgebet darüber, brach es in Stücke und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn. (alles: aus Lukas 24)

Sollten Sie zu den Kirchgängern gehören, sagen Sie jetzt vielleicht: „Na klar! Eine Anspielung auf das Abendmahl oder die Eucharistie! Da kann man den Auferstandenen erleben – manchmal eher als in 1000 Worten!“ Stimmt! Aber klappt das auch bei Leuten, für die gedanklich Ostern gar nicht stattgefunden hat, bei „ungläubige Jünger“ sozusagen?

Wieso erkennen die Beiden ihren Jesus ausgerechnet jetzt? Vielleicht hatten die Zwei das bei Jesus früher schon gesehen: Er dankt und er bricht das Brot. Bei der Speisung der 5000 zum Beispiel. Oder gerade noch vor ein paar Tagen, als Jesus kurz vor seiner Gefangennahme im Kreise seiner Jünger Abendmahl feierte.
Allerdings: Dankgebet und Brechen des Fladenbrotes, das fand täglich in allen jüdischen Haushalten statt. Alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal Jesu also, das hätte jeder machen können. Was also ist anders? Was lässt die Jünger aufmerken?

Meine Antwort: Es ist die ROLLENVERTEILUNG! Brotbrechen und Dankgebet, das ist schließlich Aufgabe des Hausherrn, aber nicht die des Gastes. Aber hier, hier nimmt der Gast die Sache in die Hand. Und da schauen die Jünger nochmal ganz anders hin.

Ich sag’s mal so: Der Groschen fällt vielleicht da, wo Jesus die Dinge in die Hand nimmt. Gerade die, die ich bisher immer für meine eigene ureigenste Aufgabe gehalten habe, vielleicht mit der vollen Wucht der Verantwortung. Und nun nimmt Jesus sie mir aus der Hand, ich kann meine Hände in den Schoß legen. Oder ob sie Jesus in der Hand hat, die Dinge, weil ich sie ihm in die Hand gelegt habe? Im Ergebnis wäre das dasselbe. Ich hätte es als Jünger nur ein bisschen beschleunigt durch mein Abgeben, Loslassen, In-andere-Hände-Legen.

Kaum dass der Groschen fällt, ist Jesus augenblicklich verschwunden. Das scheint den Jüngern aber nichts auszumachen. Hauptsache, der Groschen ist gefallen. Der unsichtbare auferstandene Christus ist ihnen 1000 mal mehr wert als der leibhaftige Unbekannte, obwohl doch schon der ihre Herzen so hatte brennen lassen.

Wenige Momente später treten sie im Laufschritt den Rückweg an, Dunkelheit in oder her – jetzt, wo die Herzen lichterloh brennen. Bei den anderen betrübten Jesus-Freunden soll schließlich auch der Groschen fallen!

Für Sie und mich lese ich in all dem eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Es gibt kein Patentrezept, dass der Groschen fällt! Aber ein paar Dinge, die unterstützen das wohl ein bisschen:

  • Sie verharren nicht am Ort des Schreckens, sondern Sie brechen auf.
  • Sie kapseln sich nicht ab. Sie sind offen für einen „von außen“.
  • (Konjunktiv:) Sie hätten eher auf ihr „brennendes Herz“ achten können.
  • Sie lassen sich auf’s Gespräch ein.
  • Sie entdecken die alte Bibel neu.
  • Sie laden ein und pflegen Tisch-Gemeinschaft.
  • Sie lassen sich Dinge aus der Hand nehmen und vertrauen sie einem anderen an.

Nur kleine Hilfen, kein Patentrezept …
Und nun die gute Nachricht: Es muss kein Patentrezept geben, dass der Groschen fällt! Denn Christus selbst wird das Entscheidende tun. Sie müssen nichts erzwingen, und den Osterglauben schon gar nicht. Wieder etwas zum Aus-der-Hand-Legen …

Gebet:

Christus, ist sehe Deine Hände nicht. Und doch: Ich lege in sie hinein, was ich so schwer aus der Hand geben kann. All die Lasten. Und vor allem meine Scheuklappen. Nimm Du das alles in die Hand! Amen.

Dirk Klute