1. Könige 3
Ja, was brauchen Sie? Oder erstmal allgemeiner gefragt: Was braucht „der Mensch“?
Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow hat dazu 1943 eine Bedürfnis-Pyramide erfunden: Es gibt ein paar fundamentale Bedürfnisse. Und erst wenn die erfüllt sind, kommen die „höheren“ Bedürfnisse in den Blick, danach die noch höheren usw. Ich zitiere aus Wikipedia:
- Fundamentale Bedürfnisse: Atmung, Schlaf, Nahrung, Wärme, Gesundheit, Wohnraum, Kleidung, Bewegung
- Sicherheit: Recht und Ordnung, Schutz vor Gefahren, festes Einkommen, Absicherung, Unterkunft
- Soziale Bedürfnisse: Familie, Freundeskreis, Partnerschaft, Liebe, Intimität, Kommunikation, Arbeitsklima
- Individualbedürfnisse: Höhere Wertschätzung durch Status, Respekt, Anerkennung, (Auszeichnungen, Lob), Wohlstand, Einfluss, private und berufliche Erfolge, mentale und körperliche Stärke
- Selbstverwirklichung: Individualität, Talententfaltung, Perfektion, Erleuchtung, Selbstverbesserung
Mir persönlich kommen einige , Bedürfnisse in den Stufen 4 und 5 etwas quer, die brauche ich nicht zu meinem Glück – hoffentlich. Übrigens hat Maslow fast 30 Jahre später die „Selbstverwirklichung“ durch „Transzendenz“ ersetzt. Da kommt Gott ins Spiel. Altersweisheit …
Na ja. Jedenfalls kann Ihnen so eine Liste helfen, Ihren Bedürfnissen ein bisschen auf die Spur zu kommen. Nehmen Sie sie als Check-Liste: „Habe oder erlebe ich das? Hatte ich das mal? Will ich das haben? Was fehlt in meinem Leben? Was fehlt grundsätzlich? Was ganz aktuell?“
Allerdings: Was jemand für sein Bedürfnis hält, das muss nicht unbedingt das sein, was er „wirklich“ braucht.
- Herr A meint, er müsste, um abgesichert zu sein, unbedingt noch eine Million mehr haben. Von außen betrachtet: Der hat schon jetzt mehr als genug!
- Frau B findet, es müsste ganz dringend ein Partner her. Von außen betrachtet: Die soll erstmal zu sich selbst finden, statt von einer Beziehungspleite in die nächste zu tappen!
- Herr C hält es für absolut notwendig, mit allen in Harmonie zu leben, und alle sollen ihn als lieben Kerl betrachten. Von außen betrachtet: Der nimmt sich viel zu oft zurück, der sollte gelegentlich mal „Nein“ sagen und die Wünsche von anderen abschlagen!
- Frau D spürt den Wunsch nach Rückzug, denn da hat sie ihre Ruhe. Von außen betrachtet: Sie lässt sich von ihrer Angst, sich zu blamieren, auf der Nase herum tanzen! Sie sollte viel öfter mal raus gehen – und mehr aus sich heraus gehen!
- Herr E verspürt den dringenden Wunsch, sich einen ordentlichen Schluck aus der Pulle zu gönnen. Von außen betrachtet: Der säuft sich um Haus und Hof, Arbeit und Familie.
Sie könnten wahrscheinlich ein Dutzend Beispiele anfügen – von anderen. Denn bei einem selbst ist das etwas schwieriger zu erkennen …
Aber was macht es so schwierig, die eigenen Bedürfnisse überhaupt zu erkennen? Und wenn ich was erkenne, dann auch noch zu sagen, ob ich da vielleicht das Eigentliche mit etwas Verkehrtem verwechsle? Ich habe da eine Vermutung:
- Wir hatten es von Klein auf mit den Wünschen, Forderungen, Erziehungsidealen anderer zu tun – und zwar lange bevor wir eigene Bedürfnisse überhaupt in Worte fassen konnten. –Weinen oder Schreien, das schon, aber kam vielleicht nicht immer so gut an.
- Manch einer musste die Erfahrung machen: Wenn ich meine Wünsche und Bedürfnisse zeige oder sage, dann finden sie keine Beachtung. Oder ich darf sie erst gar nicht äußern – und eigentlich nicht mal „haben“.
- So kann es sein, dass ich heute sehr gut auf die Wünsche anderer trainiert bin, aber eigene Bedürfnisse gar nicht kenne – oder eben sehr verzerrt, wie oben bei den Damen und Herren A bis E. Vielleicht nehme ich dann meine angeblichen Bedürfnisse und Ideale aus meiner Familie. Oder in schroffer Abgrenzung gegen die Familie stattdessen aus der Clique. Oder aus „der Gesellschaft“. Oder, oder.
Und jetzt zu Jesus. Und zu einem Menschen mit einem Willen:
Es begab sich aber, als (Jesus) in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte.
Ein Bettler. Was der braucht: Spenden. Maslow, Stufe 1: „Nahrung, Wärme, Gesundheit, Wohnraum, Kleidung“. Ob er das wirklich will? Vielleicht ist das Betteln mehr eine stumpfe, aber überlebensnotwendige Gewohnheit. Ebenso der automatisierte Dank, wenn einer was gibt.
Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei.
Nein, abgestumpft und „dicht“ ist er nicht. Sondern er hört. Aufmerksamkeit und Neugier sind geweckt. Keine verschüchterte, heimliche Neugier. Nein, er will es wissen, fragt nach. Und dann? Alles gut und wieder Ruhe? Aber nein! Er will noch mehr:
Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Was genau der Blinde will, sagt er nicht, weiß er vielleicht auch nicht. Aber so viel ist klar: Er will den direkten Kontakt. Jesus soll sich erbarmen, soll sich irgendwie kümmern. Er „will“ so kräftig, dass alle demütige Bettler-Bescheidenheit futsch ist. Er wird richtig laut, unverschämt. Die Leute, die ebenfalls etwas wollen, nämlich Ruhe, können ihn nicht zum Schweigen bringen:
Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Und Jesus? Der hat ein Ohr für Leute, die beharrlich und lautstark etwas wollen:
Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen.
Als (der Blinde) aber näher kam, fragte (Jesus) ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll?
„Was willst Du?“ Die Kern-Frage. Es reicht nicht, dass es mir irgendwie nicht gut geht, dass ich irgendwas brauche, und ich weiß auch nicht recht, was mir fehlt, und Du, Jesus, weißt schon besser, was Du mir jetzt geben sollst. – Nein, sondern der Blinde soll es sagen, obwohl Jesus es ihm von seinen blinden Augen ablesen kann. Nichts da mit Wünsche erraten, Bedürfnisse vermuten. Er soll es aussprechen!
Und die Antwort des Blinden? Wohlerzogene Blinde hätten jetzt gesagt: „Eine kleine Spende, bitte!“ Oder „einen Blindenhund!“, „einen Blindenstab“, „die Bibel in Braille-Schrift!“ Aber spätestens im Angesicht Jesu leistet es sich der Blinde, muss er es sich leisten, Tacheles zu reden:
Er sprach: Herr, dass ich sehen kann! Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen! Und sogleich wurde er sehend …
Wer jetzt zu sehr auf das Spektakuläre guckt, auf das Wunder, überliest leicht, dass nun ein Bedürfnis hinter dem vordergründigen Bedürfnis in den Blick kommt – dass der Geheilte selbst wohl nicht mal geahnt hat, als er noch blind war:
… und folgte ihm (Jesus) nach und pries Gott.
Diese Geschichte soll Ihnen Mut machen: In Jesu Nähe kann es Ihnen passieren, dass Sie die Blindheit überwinden, dass Sie sehend werden, mehr Klarheit darüber gewinnen, was Sie wirklich brauchen. In Jesu Nähe werden auch Stumme geheilt. Es könnte sein, dass Sie plötzlich sagen, was Sie wollen. Und dass Sie dabei lauter werden als alle, die von Ihnen erwarten, mit Ihrer Bettler-Demut bitteschön still im Hintergrund zu bleiben.
Gebet:
Dirk Klute