Jesaja 28: Weiser Bauer
Ja, was können wir er-warten? Nichts! Wir können zwar: ein Grundstück er-werben; ein Bild er-steigern; eine Gefälligkeit er-bitten; ein Ziel er-reichen; eine Skulptur er-schaffen; einen Sieg er-ringen; einen Gewinn er-wirtschaften; den Ball er-beuten; eine Erbschaft er-schleichen; etwas er-forschen oder er-kunden; einen Traumpartner er-obern; eine Überweisung er-gaunern. In all den Fällen erreichen wir durch unser Tun etwas, was wir vorher nicht hatten. Wir halten es in Händen, haben es auf dem Papier oder wenigstens als neue Erkenntnis im Kopf.
Aber er-warten? Ergattern wir etwas durch Warten? Wenn Sie dringend den Bus erwarten und dauernd in die Richtung schauen, kommt er davon nicht eine Sekunde schneller. Dadurch, dass Sie etwas er-warten, kommt es nicht unbedingt. Eine Ausnahme ist es, wenn Sie „erwarten“ mit „fordern“ übersetzen. Die Vorgesetzte „erwartet „einen Bericht, der General erwartet Disziplin, der Meister Pünktlichkeit, die Eltern Ihren Anruf, der Freund ein offenes Ohr. Wer all das „erwartet“, fordert: Das hat zu passieren, da gibt es keine Diskussion, basta.
Vor knapp 2000 Jahren schrieb der Apostel Paulus an die Christen-Gemeinschaft in Philippi so:
Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus. (Philipper 3, 20)
Paulus und seine Mitchristen in Philippi erwarten Jesus Christus. Sie glauben: Jesus ist gestorben und von den Toten auferweckt worden. Dieser Christus ist ihr Herr. Er ist in seinem Geist bei ihnen und in ihnen. Aber: verborgen. Diese Christus-Wirklichkeit ist also nur für diejenigen „wirksam“ wirklich, die das glauben.
Wenn Paulus nun Christus vom Himmel her erwartet, dann meint er das Ende der Verborgenheit: Christus ist dann offenbar, für alle zu erkennen! Christi Wiederkunft – und die Weltgeschichte kommt zu ihrem guten Schluss.
Tja, und dann? Nachdem Paulus das geschrieben hat? Da konnten sie aber lange warten, Paulus und die Philipper! So, wie sie sich das dachten, ist es bis heute nicht passiert. Ich habe da eine eigene Annahme: Christi „Wiederkunft“ ist der Punkt der Offenbarung und der Erlösung, der Brennpunkt, in dem alles seine Mitte findet. Dieser Punkt wird aber nicht irgendwo in der Weltgeschichte liegen, also an keinem bestimmten Kalender-Tag, sondern außerhalb der Geschichte. Da trifft sich alles auf der anderen Seite des Todes. Christi „Wiederkunft“, so dass alle es sehen. Alle und alles, aus allen Zeiten der Geschichte des Universums.
Aber Paulus und die Philipper haben es sich anders gedacht. Sie haben Christus für demnächst vom Himmel her erwartet. Aber sie konnten ihn eben nicht herbei-erwarten. Also alles für die Katz? Erwartungen enttäuscht?
Nein! Denn: Wenn ich schon nicht immer etwas durch mein Warten herbei zwingen kann, hinein in meine Gegenwart, so ändert sich im Er-Warten doch meine Haltung! Einer, der auf den Bus wartet, steht anders an der Bushaltestelle als jemand, der dort nur ein trockenes Plätzchen sucht.
Außerdem: Wer warten kann oder es lernt, wer sich in Geduld übt, kommt los davon, alles verkürzen und sofort erzwingen zu müssen. Das entspannt. Der Gärtner, der nicht warten will, der zupft an den Keimlingen, damit sie schneller aus dem Boden kommen – und dann hält er sie in der Hand. Die Gärtnerin, die eine „reifere“ Erwartungshaltung an den Tag legt, wird geduldig gießen und düngen. Sie braucht viel, viel länger, um die Resultate ihrer gelebten Erwartungshaltung in Händen zu halten. – Das sind dann aber: Früchte statt ausgerissene Pflänzchen.
Christen sind idealerweise von Haus aus nicht lethargisch. Einerseits. Aber andererseits leben sie in der Erwartungshaltung der Gärtnerin: Viele, besonders die wirklich wichtigen Dinge, liegen nicht in der eigenen Hand, sie lassen sich nicht „machen“, man sollte sie nicht ungeduldig herauszupfen. Sie liegen in Gottes Hand. Gott, der zur rechten Zeit schon das Rechte tun wird, auch wenn es meinem „Fahrplan“ krass zuwider läuft und ich im verspäteten Lebens-Bus vor meinem inneren Auge schon die roten Rückleuchten aller verpassten weiteren Anschlusszüge „sehe“.
Paulus schreibt über den Himmel, „woher wir auch erwarten den Heiland …“. Die Bus-Benutzer schauen in die Bus-Richtung, die Christen in den Himmel. Hoffentlich nicht ausschließlich, weil sie sonst kaum eine Fallgrube und kein Fettnäpfchen auslassen würden. Aber der Himmel bleibt der zentrale Orientierungspunkt. Wie der Norden für den Kompass. Daran ausgerichtet, erkennen Sie, wo Sie stehen. Und vielleicht, wo es lang geht.
Kritiker werden mir jetzt Wirklichkeits-Ferne vorwerfen. Stimmt!
- Zwar: Ich bin dafür, „distanzlos“ zu leben, „mitten drin“ zu sein, mit ganzem Herzen, allen Sinnen, Haut und Haaren; alle Gefühle rauf und runter zu durchleben und zu durchleiden.
- Aber: Zugleich das Wirklichkeits-Ferne: den Himmel sehen, der meine kleine Welt umschließt. Der Himmel, unter dem ich geborgen bin. Der Himmel wie ein Spiegel: Unter ihm kann ich mich selbst mit all dem, was ich bin, habe, will und leide, in einem ganz anderen Licht sehen. Wie singt Reinhard Mey so hellsichtig:
„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
liegen darunter verborgen und dann
würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.
Paulus geht noch eins weiter: „Unser Bürgerrecht (…) ist im Himmel!“ Also: Christen sind „nicht ganz da“, sie sind „nicht ganz von dieser Welt“.
„Bürgerrecht“, das ist wie ein Reisepass. Darin steht etwas über meine Zugehörigkeit. Wo keine Fremdenpolizei und kein Abschiebe-Kommando mir meine Bleibe streitig machen darf.
In meinem Fall ist das der deutsche Reisepass. Und jetzt stelle ich mir vor, ich wäre in – Kolumbien. Und zwar schon das ganze bisherige Leben. Ich hätte Deutschland noch nie selbst gesehen, weil meine Mutter mich in Kolumbien geboren hat. Ich würde fließend Spanisch sprechen und nur gebrochen Deutsch. Niemand würde mir auf der Straße ansehen, dass ich kein Kolumbianer wäre, Kolumbien wäre ja auch meine Welt. Vielleicht vergesse ich sogar meine etwas andere Identität, und ich stoße erst wieder darauf, wenn ich an Grenzen komme …
Trotzdem sagt mir mein Pass: Es gibt da dieses andere Land! Ich hatte damit zwar immer nur über das Konsulat und durch Erzählungen zu tun. Aber da habe ich Bürgerrecht. Da habe ich meinen Platz, da habe ich verbriefte Rechte. Und wenn ich will, kann ich sagen: Da gehöre ich hin!
Streng genommen, hängt es nicht mal am Pass. Auch bei Verlust bliebe ich Bürger dieses unbekannten, fernen „Heimat“-Landes. Allerdings: Der Blick in den Pass kann mir zur Vergewisserung dienen, wenn ich es mir selbst nicht glaube, das mit dieser anderen Heimat.
„Unser Bürgerrecht ist im Himmel“, sagt Paulus. Christen sind wie Leute mit deutschem Pass in Kolumbien (oder umgekehrt): Man sieht ihnen den Himmel als Heimat nicht unbedingt an der Nasenspitze an und hört nicht immer einen besonderen Zungenschlag. Sie leben in ihrer Welt wie andere auch. Trotzdem tun sie gut daran, ihr himmlisches Bürgerrecht nicht zu vergessen. Kontakt zu pflegen zu anderen, die genau wie sie selbst ganz da und doch nicht so ganz da sind. Ihre spezielle Karte zur Selbst-Vergewisserung zu ziehen. Erst recht, wenn sie an ihre Grenzen kommen. Wohlgemerkt: Es geht bei dieser speziellen Karte nicht um die Vermeidung von Grenz-Situationen, sondern um eine Hilfe, dass es auch an Grenzen weiter geht. Und dahinter auch!
Der „Reisepass“ von Martin Luther in Grenzsituationen war der Satz: „Ich bin getauft!“ Klar, das Bürgerrecht hängt nicht am Pass, aber so etwas Handfestes kann schon Mut machen: Der Pass. Und das Getauft-Sein.
Was können Sie heute mitnehmen?
- Üben Sie sich in Geduld! Ihre Haltung ändert sich!
- Als Kind Gottes haben Sie noch eine andere Heimat. Gut, wenn Sie jeden Tag um diese Kindschaft und um diese Heimat wissen!
Gebet (aus einem Lied):
Wir warten dein, o Gottes Sohn,
und lieben dein Erscheinen.
Wir wissen dich auf deinem Thron
und nennen uns die Deinen.
Wer an dich glaubt, erhebt sein Haupt
und siehet dir entgegen;
du kommst uns ja zum Segen.
Wir warten dein; du hast uns ja
das Herz schon hingenommen.
Du bist uns zwar im Geiste nah,
doch wirst du sichtbar kommen.
Da willst uns du bei dir auch Ruh,
bei dir auch Freude geben,
bei dir ein herrlich Leben.
Dirk Klute