Mt 4, Versuchungsgeschichte
Herodes ist eine richtig negative Figur in der Bibel. Der mit dem Beinamen – „der Große“. Der mit dem Kindermord, von dem uns das Matthäus-Evangelium berichtet. Diese Aktion gegen Jungen unter 2 Jahren wird uns in anderen Quellen nicht berichtet. Dafür aber diverse Morde oder tödlich endende Gerichtsverfahren gegen mehrere seiner Frauen und gegen eigene Söhne. Auch plante Herodes, führende jüdische Männer nach seinem Tod ermorden zu lassen. Der Grund: Die Leute sollten am Tag seines Begräbnisses weinen. Dieser Plan konnte vereitelt werden. Jedenfalls: Ein Menschenleben war dem Herodes nicht viel wert.
Herodes hatte auch mindestens eine andere Seite: Herodes, der Retter in Zeiten der Hungersnot. Der Steuer-Senker. Der Bauherr berühmter Gebäude und Anlagen, z.B. des Tempels in Jerusalem, von dem heute noch die „Klagemauer“ steht. Rehabilitiert das den Mörder? Nein. Es ist nur einfach eine andere Seite. Menschen und Medaillen haben meist mehr als eine Seite, Sie und ich auch.
Sich mit Lumpen zu beschäftigen, das hat seine Reize. Sonst gäbe es keine Krimis, keine Thriller, keine Gruselgeschichten und weniger Regenbogenpresse. Lumpen stehen für Spannung und Aufregung, für ein fremdes, interessantes Leben, das ein bisschen vom eigenen tristen Alltag befreit. Außerdem: Wenn ich mich über Lumpen entrüste, dann komme ich selbst besser weg. Neben einem ganz finsteren Gesellen erscheint meine Weste fast weiß. Das steckt wohl mit dahinter, wenn manch braver Bürger diese oder jene Personengruppe pauschal verteufelt. Wen haben Sie da besonders auf dem Kieker? Aber nicht vergessen: Wenn Sie mit dem Finger auf jemanden zeigen, weisen drei Finger auf Sie selbst!
Wie mit bösen Menschen umgehen? Als Jesus seinen Jüngern ankündigte: „Einer von euch wird mich verraten!“, da haben die Jünger nicht etwa diesen und jenen möglichen Verräter angegriffen, sondern sie haben ziemlich betroffen und selbstkritisch gefragt: „Herr, bin ich’s?“ Diese Frage dürfen Sie gern mitlaufen lassen, wenn ich Sie jetzt mit Herodes und den drei Weisen aus dem Morgenland beschäftige. – Der Herodes in Ihnen und mir …
Jesus wurde in Betlehem in Judäa geboren, zur Zeit, als König Herodes das Land regierte. Bald nach seiner Geburt kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: »Wo finden wir den neugeborenen König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um uns vor ihm niederzuwerfen.«
Als König Herodes das hörte, erschrak er, und mit ihm ganz Jerusalem.
Man kann den Sterndeutern Naivität vorwerfen. Dass sie ausgerechnet an einem Königssitz von einem anderen, kommenden König sprechen, das löst schnell Irritationen aus. Herodes erfährt schnell etwas über diese Leuten. Sein NSA hat überall Ohren. Und was die Schlapphüte hören und weitergeben, löst Erschrecken aus – bei Herodes und bei GANZ JERUSALEM.
Was lernen wir daraus? Es ist oft zu kurz gedacht, den EINEN Bösen zu identifizieren und das Böse zu personalisieren. Es sind nicht „nur“ Hitler und „nur“ Stalin gewesen. Ein „großer“ Böser kann man nur sein, wenn viele Menschen und „starke“ Strukturen einen unterstützen. Und wenn jeden Tag zehntausende Kinder den Hungertod sterben, dann kann man zwar bestimmte Menschen, Konzerne, Staaten nennen, die da besonders schmutzige Finger haben. Aber das ist oft noch zu klein gedacht, zu verniedlicht. Einzelne Personen, Konzerne, Staaten sind austauschbar. Die Krake, der Moloch, die Bestie bleibt.
Also Vorsicht mit dem Personalisieren! Und Augen auf dafür, an welchen Stellen Sie selbst so ein Rädchen im System sind! – Übrigens: Seinen Beitrag zum bösen Ganzen leistet das kleine Rädchen dadurch, dass es sich dreht. – Und um was? Na, vor allem um sich selbst. Das ist das Wesen von Rädchen aller Größen…
Etwas größere Rädchen kommen jetzt ins Spiel:
Herodes ließ alle führenden Priester und Gesetzeslehrer im Volk Gottes zu sich kommen und fragte sie: »Wo soll der versprochene Retter geboren werden?« Sie antworteten: »In Betlehem in Judäa. Denn so hat der Prophet geschrieben: ›Du Betlehem im Land Juda! Du bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten in Juda, denn aus dir wird der Herrscher kommen, der mein Volk Israel schützen und leiten soll.‹«
Was haben ausgerechnet die Religionsführer „im Volk Gottes“ bei diesem Diktator zu suchen? Nichts – „eigentlich“. Denn sie sollen Gott allein dienen. Aber wenn man in eine angesehene Position rückt, dann, na ja, dann geht es eben nicht ohne gewisse Rücksichtnahmen. Schließlich fördert Herodes doch das Religionswesen, man denke nur an den phantastischen Tempelneubau. Außerdem gibt es gute Schlagzeilen in der Presse: „Herodes konsultiert Religionsführer“. Und: Das lässt doch ebenfalls das Herz jedes Gläubigen höher schlagen, wenn einen sogar ein König nach dem Glauben und der Bibel fragt! Da glänzen sie doch gern mit ihrer Bibelkenntnis und zitieren aus dem FF aus Micha 5, Altes Testament.
Von einem brutalen Diktator und einer speichelleckenden religiösen Führung ahnen die Sterndeuter nichts. Denn wer meistens zu den Sternen aufschaut, weiß nicht, wie auf der Erde der Hase läuft. Treuherzig lassen sie sich auf Herodes ein:
Daraufhin rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und fragte sie aus, wann sie den Stern zum ersten Mal gesehen hätten. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: »Geht und erkundigt euch genau nach dem Kind, und wenn ihr es gefunden habt, gebt mir Nachricht! Dann will ich auch hingehen und mich vor ihm niederwerfen.«
Wie gesagt: Man könnte ihnen Naivität vorwerfen …
Schließlich kommen sie beim Jesus-Kind an. Im Matthäus-Evangelium sind es ausgerechnet diese heidnischen Magier, die sich als Erste vor Jesus niederwerfen und ihm geben, was ihnen kostbar ist.
Und Herodes? Den sehen die Sterndeuter nie wieder, trotz ihrer Einfalt. Wieso nicht?
In einem Traum befahl ihnen Gott, nicht wieder zu Herodes zu gehen. So zogen sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück. (Alles: aus Matthäus 2)
Nun könnte man ganz vernünftig feststellen: Im Matthäus-Evangelium wird um Jesu Geburt herum sowieso viel geträumt: Erst träumt Josef, dass er bei der schwangeren Maria bleiben soll. Dann die Sterndeuter, dass sie nicht wieder zu Herodes gehen sollen. Und dann wieder Josef: Er soll mit Frau und Kind nach Ägypten fliehen. Man könnte es aber auch so sagen: Wo Jesus in meine Welt kommt, da gerate ich womöglich ins Träumen. Unsere Sterndeuter tun das jedenfalls: Sie schenken nicht mehr nur den Erscheinungen am Himmel Aufmerksamkeit, sondern auch dem, was sie mit geschlossenen Augen erleben. Ein Traum leitet sie nun ihren weiteren Weg. Und nicht mehr die Absprache mit dem Herrn König.
Und dann war da noch etwas vor dem Traum: Sie sind vor dem Jesus-Kind auf die Knie gegangen. Sie haben in diesem Baby den neuen König erkannt, den sie suchten. Allgemeiner gesagt: Wer vor Jesus auf die Knie geht, für den haben die alten Könige ausgedient.
Zu Helden werden unsere Sterndeuter deswegen nicht: Sie zetteln keine Revolution an und sie sterben keinen Märtyrer-Tod in Jerusalem. Sie erzählen nicht mal überall herum, was sie erlebt haben, wie es im Lukas-Evangelium die Hirten tun. Ihr Leben wird auch nicht völlig neu, denn sie kehren einfach in ihr Land zurück.
Aber: Sie schlagen „einen anderen Weg“ ein. Sie machen einen Bogen um Jerusalem. Oder genauer: Sie nehmen den direkten Weg nach Hause, statt vorher die 8 Kilometer nach Jerusalem zu laufen. Sie spielen das Spiel des Bösen nicht mit.
Und wir? Mir scheint: Die Schlüsselszene ist da, wo sich die Sterndeuter vor Jesus niederwerfen. Von da aus würde ich es so sagen:
- Wer vor Jesus die Knie beugt, könnte seine treuherzige Naivität denen gegenüber verlieren, die sonst das Sagen haben.
- Wer in Jesus den Herrn erkennt, der entthront zumindest für sich selbst andere Herrscher.
- Wer von Jesus her kommt, gerät ins Träumen.
- Wer ins Träumen kommt, könnte Mut gewinnen, einen anderen, einen direkten Weg einzuschlagen. Sie würden nicht mit Herodes umgehen, sondern ihn umgehen.
Liedvers: