Wohnung (Andacht für den 4. Advent und Weihnachten)

Lukas 2

In den Andachten der Advents-Wochen habe ich Sie mit ein paar Sätzen aus dem ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums beschäftigt: Es ging um den Zauber des Anfangs, um Licht im Dunkeln, um die Neu-Entdeckung des Kind-Seins. Und jetzt kommt der Evangelist mit wenigen Worten deutlich auf den Weihnachts-Punkt:

Und das Wort ward Fleisch …

Sie erinnern sich vielleicht: Das „Wort“ in diesem Satz ist nicht irgendetwas Dahingesagtes. Es ist das Wort, von dem es vorher heißt: „Gott war das Wort. (…) Alle Dinge sind durch (das Wort) geworden …“. Das Wort, das die ganze Welt im Innersten zusammenhält. Und das doch noch so unendlich viel größer ist.

So, und nun bekommt dieses Wort Hand und Fuß, ein Herz, Augen und Ohren, ein Gesicht und eine Stimme. Weihnachten. Ein Baby!
Der Evangelist Johannes kennt die Geschichte vom Stall in Bethlehem nicht oder sagt uns zumindest nichts darüber. Aber er berichtet uns von dem „erwachsenen“ Jesus – wie er zu den Leuten spricht. Wie er ihren Hunger stillt und ihren Durst löscht. Wie er Leuten die Augen öffnet und ihnen auf die Beine hilft, wie er Schuldbeladene von ihrer Last befreit. Aber dann auch, wie er im Kreuz hängt und dort als der Verurteilte stirbt. – „Das Wort ward Fleisch“, dieser Satz bekommt da, am Kreuz, eine ganz dramatische Färbung.

… und wohnte unter uns …

Ein Mitbewohner! – „Einer von uns!“- Ja? Nein, nicht ganz! Einer UNTER uns, nicht VON uns. Er ist von woanders. Aber nun ist er da. „Wir“ sind nicht mehr mit „uns“ allein.
Das Wort für „wohnen“, das da im Griechischen steht, bedeutet ursprünglich „zelten“. Also: „Das Wort ZELTETE unter uns.“ Klingt unbehaust, etwas zugig. Das passt zum Stall von Bethlehem. Es passt viel später zu dem Unverständnis von Jesu Familie, als der auf einmal öffentlich so merkwürdige Dinge sagt und tut. Es passt zur Ablehnung, die Jesus speziell in seinem Heimatörtchen Nazareth erfährt. Es passt zu einem, der von sich sagt: „Des Menschen Sohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“. Ein Vagabund, ein Heimatloser. Der hat seine Heimat nämlich ganz woanders. Der ist nicht so ganz von dieser Welt.

Unter „uns“ zeltet er. Da ist er wohl besonders bei denen, die sich ebenfalls unbehaust und heimatlos wiederfinden, die keinen Ort haben. Bei den Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer, bei den Millionen, die Syrien verlassen musste, bei den Obdachlosen auf den Philippinen, und auch in Münster, Lengerich, Rheine, Osnabrück.
Aber vielleicht auch bei Ihnen und mir, wo wir uns fremd und heimatlos empfinden, trotz vier Wänden, Bett und Computer. Heimatlos, weil vielleicht Vertrautes zerbrochen ist, Mitmen­schen gegangen oder verstorben sind, weil das heimatliche „Früher“ heute eben nicht mehr ist. Wo wir erfahren und verstehen mussten: Leben findet auf der Durchreise statt. Zelte aufschlagen und wieder abbauen. Christus zeltet unter denen, die unterwegs sind – und nicht ganz von dieser Welt. So, wie er selbst.

… und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Eine merkwürdige Herrlichkeit ist das, diese Herrlichkeit des Gottessohnes. Wie herrlich sind Stall und Kreuz??? Und selbst Christi Auferweckung, sie kommt auf relativ leisen Sohlen daher. Eine Herrlichkeit, die sich nicht jedem und schon längst nicht zu jeder Zeit erschließt.

Da sehen Sie keine Massen mit staunend offenem Mund.
Aber manchmal wird diese Herrlichkkeit gerade zur rechten Zeit sichtbar: Stephanus sieht ein paar Jahre später den offenen Himmel über sich und den auferstandenen Christus zur Rechten Gottes – und das nicht etwa in einer feierlichen Christvesper, sondern im Moment seiner Steinigung, mit den hassverzerrten Gesichtern seiner Feinde vor sich.
„Wir sahen“, schreibt der Evangelist. Er glaubt nicht, weil er sieht, sondern er „sieht“, weil er glaubt.

Niemand hat Gott je gesehen. Der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.  (Johannes 1, 14 & 18)

Gottes Herrlichkeit sehen – im Stall von Bethlehem und sogar am Kreuz von Golgatha. Gottes Herrlichkeit hören – in dem, was uns Christus verkündet. Vielleicht sogar etwas von Gottes Herrlichkeit spüren, auch wenn ich mich alles andere als herrlich fühle. All das braucht Glauben, der mir die Augen, die Ohren und die Herzen öffnet.

Diesen Glauben schenke uns Gott! Heute. Und auch noch morgen. In diesem Sinne: Gesegnete – glaubende, sehende, hörende Weihnachten!

Gebet (aus dem Lied: Mit Ernst, o Menschenkinder):

Ach mache Du mich Armen // zu dieser heilgen Zeit
aus Güte und Erbarmen, // Herr Jesu, selbst bereit!
Zieh in mein Herz hinein –
vom Stall und von der Krippen,
so werden Herz und Lippen
Dir allzeit dankbar sein!

Dirk Klute